Dresden, 15. März 2019 (geno) In einem genossenschaftlichen Musterprozess am Amtsgericht Dresden war am Freitag schnell Klarheit geschaffen. Die Positionen zwischen dem Genossenschaftsmitglied Marco K.(*) und den Führungsgremien der Wohnungsgenossenschaft Johannstadt eG (WGJ) liegen so weit auseinander und sind so unversöhnlich, dass ein Vergleich oder eine gütliche Einigung nicht in Betracht kommt.
Dabei hatte sich Richterin Beatrice Schäfer-Bachmann sogar auf sehr dünnes Eis begeben und ihre richterliche Neutralität leichtfertig aufs Spiel gesetzt, indem sie dem beklagten Genossenschaftsmitglied dringend empfahl nachzugeben, sich anderswo eine Wohnung zu suchen und seine jetzige Genossenschaftswohnung zu räumen.
Diesen Vorschlag unterbreitete sie dreimal – ohne Erfolg.
Der Beklagte, der vor geraumer Zeit durch einen höchst umstrittenen und fragwürdigen Ausschluss aus der Kooperative in den niedrigen juristischen Rang eines Mieters versetzt wurde, lehnte das entschieden ab.
Als Genossenschaftsmitglied ist er Miteigentümer der Genossenschaft und hat einen viel vorteilhafteren juristischen Ausgangspunkt für den nun in die nächste Phase tretenden Rechtsstreit, in dem es neben vielerlei anderen Aspekten vor allem um die innergenossenschaftliche Demokratie verbunden mit der nötigen Mitsprache, Mitentscheidung und Kommunikation geht.
Der von der WGJ mandatierte Rechtsanwalt Joachim von Alvensleben klagt „auf Unterlassung“ mit Blick auf Mitgliederumfragen und publizistische Aktivitäten, die dem 31jährigen Marco K. angelastet werden. Darüber hinaus wirft der WGJ-Prozessvertreter dem Beklagten vor, mit geradezu akribischer Detektivarbeit nach Schwachpunkten innerhalb der Genossenschaft zu fahnden. Entweder habe er ein phänomenales Gedächtnis oder er setze technische Mittel ein, um umfassende Gesprächsprotokolle wortgetreu zu erstellen und in die bisher geführte Auseinandersetzung einzubringen. Die Ausführungen des Anwalts lösten Stirnrunzeln bei dem zahlreich erschienenen Publikum aus und veranlassten einen älteren Besucher zu der Feststellung, dass die Aussagen des Juristen „vom hohen Ross herab“ getätigt werden. Er verließ nach Ermahnung durch einen Justizbeamten verärgert den Gerichtssaal.
Richterin Schäfer-Bachmann entschied, den Prozess am 12. April, 10 Uhr, mit dem Beginn der Beweisaufnahme fortzusetzen. ++(wg/mgn/15.03.19 – 052) (*) Name ist der Redaktion bekannt.
www.genonachrichten.de, e-mail: mg@genonachrichten.de, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), tel. 0176 / 26 00 60 27
Anmerkung: Das Verhaltensmuster ist bekannt. Ein Genossenschaftsmitglied erinnert den Vorstand an seine – aus dem genossenschaftlichen Identitätsprinzip abzuleitenden Rechte als Genossenschaftsmitglied. Der Vorstand fühlt sich angegriffen und schließt das Mitglied aus.
Dieser Missstand hat Tradition. Bereits am 23.März 1889 – vor 130 Jahren-wurde im Reichstag der Schutz der Genossen vor ihren Verwaltungsorganen eingefordert gefordert. (pdf Reichstags Protokoll) Während des NS-Regime wurde 1934 die genossenschaftliche Mitbestimmung abgeschafft und das Führerprinzip eingeführt. Deutsche Genossenschaften werden nicht „von unten noch oben“ sondern „oben nach unten“ geführt.
Als Ergebnis hat sich das genossenschaftliche Verbandswesen „verselbständig“. Die „Zentralherrschaft der Verbände“ und die enge Verknüpfung mit den staatlichen Aufsichtsbehörden erinnert zunehmend an den real existierenden Sozialismus auf Deutschem Boden.
Gerald Wiegner Vorstand igenos e.V.
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18. März 2019 | Dresden | WGJ-Vorstände rudern in Pressemitteilung zurück.
Nachdem über die Dresdner Morgenpost am vergangenen Samstag im Interview mit WGJ-Vorstand Dittrich der Eindruck erweckt wurde, dass die Geschäftsführung alleine über die Gewinnverwendung in der Genossenschaft entscheiden würde, sah sich das Vorstandsgremium bereits zwei Tage später zur Korrigierung der presserechtlichen Falschmeldung gezwungen.
In der WGJ-Pressemitteilung von Montag heißt es dazu:
„Gerne möchten wir jedoch darauf hinweisen, dass unsere Satzung eine Dividendenausschüttung nicht ausschließt. Das Thema Dividende wird regelmäßig in der Vertreterversammlung besprochen und beschlossen.“
Verweis:
http://www.wgj.de/presse.html
Eine Genossenschaft ist keine Kapitalgesellschaft. Die Unterschiede sind im Genossenschaftsgesetz erläutert.
Eine Genossenschaft ist dagegen eher mit einem Verein zu vergleichen, dessen wirtschaftliche Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, die eigenen Mitglieder zu fördern.
Die Genossenschaftsmitglieder sind gleichzeitig auch Miteigentümer oder Mitunternehmer.
Genossenschaftsmitglieder profitieren nicht am Wertzuwachs ihrer Unternehmensbeteiligung, als Ausgleich dafür haben die Mitglieder der Genossenschaft einen Anspruch auf bestmögliche
Förderung. Im Gegensatz dazu hat eine Kapitalgesellschaft die Aufgabe das Kapital im Sinne der Kapitaleigentümer zu vermehren. Hier sind die Anteilseigner direkt am Vermögenswert beteiligt.
Genossenschaften sind von der Idee her demokratische Einrichtungen, die von den Mitgliedern gesteuert werden sollten. Das bedeutet die Mitglieder sollten z.B miteinander
über eine Anpassung der Nutzungsgebühr (Miete) und eine Verwendung des Gewinns entscheiden.
Dass Genossenschaftsmitglieder miteinander kommunizieren sollte selbstverständlich sein. Jede Form von Mitgliederinitiative ist somit zu begrüßen.
Der Vorstand ist nicht Eigentümer der Genossenschaft – im Gegenteil, die Mitglieder können den Vorstand jederzeit entlassen und eine neuen Vorstand wählen.
Das gilt auch für den Aufsichtsrat, der den Vorstand im Interesse der Mitglieder kontrollieren muss. Kontrollieren auch darauf, ob genossenschaftliche Grundsätze eingehalten wurden und die Mitglieder bestmöglichst gefördert wurden.
Genossenschaftsvorstände dürfen „unbequeme“ Mitglieder nicht einfach durch Ausschluss aus der Genossenschaft ausschalten. Dieses Vorgehen hat absolut nichts mit der Genossenschaftsidee zu tun und erinnert ein wenig an den real existierenden Sozialismus.
Es ist sicherlich nicht rufschädigend wenn sich in einer Genossenschaft die Mitglieder zusammenschließen und Entscheidungen des Vorstands in Frage stellen – im Gegenteil Genossenschaft funktioniert von unten nach oben. Aus unserer Sicht ist das Verhalten des Vorstands rufschädigend, insofern stellt sich die Frage ob nicht der Vorstand auszuschließen wäre.
Die hier beschriebene Situation ist kein Einzelfall. Es gibt bundesweit eine Reihe von Mitgliederinitiativen die sich für die Rechte der Mitglieder einsetzen.
Die direkte Wahl der Vorstände wäre das einzig wirksame Hilfsmittel gegen die zahlreich auftretenden Autokratie-Tendenzen.
In den allermeisten Satzungen ist festgelegt, dass die Vorstände durch die Aufsichtsräte der eG bestellt werden.
Zunächst gibt es doch einen Unterschied zwischen einem Mieter und einem Miteigentümer.
Ein Vorstand, der von den Miteigentümern gewählt und auch bezahlt wird kann doch nicht einfach ihm persönlich unbequeme Genossen aus der Genossenschaft ausschließen – oder?
Die Vorstände der WGJ Dresden fordern weiterhin die strafbewehrte Unterlassung einer demokratischen Mitbestimmung der Mitglieder und die unverzügliche Räumung von WGJ-Wohnungen aufgrund publizistischer Bemühungen zur Erfüllung des genossenschaftlichen Förderzwecks.
Der öffentliche Prozess hat am Freitag mehr als ein Dutzend Besucher in den Verhandlungssaal N 1.18 des Amtsgerichts Dresden gelockt.
Am heutigen Samstag ließ der WGJ-Vorstand Dittrich über das Publikations-Rohr der Dresdner Morgenpost zahlreiche Falschmeldungen verbreiten. Details unter diesem Link:
http://www.tag24.de/nachrichten/wohnungsgenossenschaft-johannstadt-wgj-mieter-initiative-aerger-mieter-verklagt-rufschaedigung-dresden-1003613
Behauptet wurde, die WGJ Dresden würde wegen Rufschädigung prozessieren. Diese Aussage ist falsch. Richtig ist, dass die Vorstände der WGJ mit drohenden Anwaltsschreiben und Klagen die Durchführung von demokratischen Mitglieder-Befragungen unterbinden möchten.
WGJ-Vorstand Dittrich wird wie folgt zitiert: „Darüber hinaus ist eine Dividenden-Ausschüttung laut Satzung nicht vorgesehen. Das haben die Genossenschaftsmitglieder einst gemeinsam beschlossen.“
Auch diese Aussage ist inhaltlich vollkommen falsch. Die WGJ-Satzung regelt nach § 13 und 39 ganz genau, dass und in welcher Form eine Gewinn-Beteiligung der Mitglieder stattfindet. Zuständig ist die gewählte Vertreter-Versammlung, die im Juni 2019 das nächste Mal zusammenkommt.
Wieso belügen die Vorstände der WGJ ihre Mitglieder?
In vielen Wohnungsgenossenschaften Deutschlands gehört die Beteiligung der Mitglieder am Geschäftsüberschuss in Form von Dividende seit vielen Jahren zum guten Ton.
Die Johannstädter eG möchte die Gelder offenbar an den Mitgliedern vorbei in die Bauwirtschaft transferieren um luxuriöse Neubau-Vorhaben finanzieren zu können.