Berlin, 29. August 2019 (geno). Die Übernahme der Rochdale–Prinzipien durch die International Cooperation Association (ICA) steht im Vordergrund der jüngsten Ausgabe des Printmediums „GenoSplitter“. In der Nummer 6 von Ende August 2019 schildert Genossenschaftsexperte Wilhelm Kaltenborn, wie im Laufe der Zeit die genossenschaftlichen Grundsätze stetig konkretisiert wurden.
Auf dem Wiener ICA-Kongress im Jahr 1930 wurde auf Vorschlag der französischen Delegierten ein Komitee eingesetzt, das die genossenschaftlichen Prinzipien definieren sollte. Zu den vier wichtigsten zählen die offene Mitgliedschaft und die demokratische Kontrolle. Zu weiteren gehört das Fördern der Erziehung. „Die Weltorganisation konnte schließlich nicht kontrollieren, ob die Normen denn auch überall eingehalten würden“, stellt Kaltenborn fest.
Sehr viel später im Jahr 1995 – 100 Jahre nach ICA-Gründung und nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems – erfolgte eine erneute grundlegende Revision der genossenschaftlichen Grundsätze. „Jetzt wurde unterschieden zwischen Werten und Prinzipien und bei den Werten wiederum zwischen Basiswerten und ethischen Werten“, schreiben die „GenoSplitter“. Die von der ICA formulierten genossenschaftlichen Werte und Prinzipien versinnbildlichten eine abermalige Entfernung von ihrem Ursprung bei den Rochdalern Pionieren, weil bei ihnen Autonomie, Unabhängigkeit und Interesse an der Gemeinschaft nicht prononciert genannt wurden. Das sei nicht verwunderlich, denn die Arbeiter in Englands Norden hätten es 1844 mit ganz spezifischen Orts-, Zeit- und Sozialbedingungen zu tun gehabt. Sie lieferten kein global anwendbares Modell.
Das kommentiert Kaltenborn wie folgt: „Die Unterschiede zwischen dem England von 1844 und der Welt von 1995 sind zu eklatant, um Regeln zu postulieren, die für alle Ewigkeit und überall auf der Welt zu gelten hätten. Die Pioniere schufen für sich als Arbeiter in einer Industriestadt des sich immer stärker entfaltenden Kapitalismus in England einen Ausgang aus der allergrößten Not. Der ICA formulierte 1995 Grundsätze für Organisationen in den verschiedensten Weltgegenden (für Norwegen ebenso wie für Uganda und Indien), für die verschiedensten Branchen (für die Landwirtschaft ebenso wie für Gesundheitsdienste), für alle sozialen Ebenen (für brasilianische Großgrundbesitzer wie für italienische Sozialarbeiter), für alle Größenordnungen (für die Kreditgenossenschaft in einer deutschen Großstadt ebenso wie für eine Lotsengenossenschaft – falls es sie gibt – auf den Färöern), in allen politischen Systemen (in der Schweiz ebenso wie für den Iran). Nach 175 Jahren kann es also einen Gleichklang der Prinzipien von damals und heute gar nicht geben. Es gibt Ähnlichkeiten, mehr nicht. Aber das gilt schließlich auch für das von Schulze initiierte Genossenschaftsgesetz im Preußen des Jahres 1867 und dem deutschen, 2019 gültigen Genossenschaftsgesetz“. ++ (ia/mgn/29.08.19 – 142)
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1 Kommentar.
[…] besser da. Die globale Genossenschaftsbewegung ICA betrachtet die Pioniere von Rochdale als Prototypen und Gründer des modernen Genossenschaftswesens, deren Prinzipien auch heute noch gelten. Laut ICA sind mindestens 12% der Weltbevölkerung […]