Entfernen sich zu viele Genossenschaften von ihrer Leitidee ? Teil 1

In seinem viel beachteten Aufsatz “Entfernen sich zu viele Genossenschaften von ihrer Leitidee?” befasst sich Prof. Volker Beuthien  mit den genossenschaftlichen Grundprinzipien.   Beuthien ist emeritierter Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Philipps-Universität Marburg. Er war fast 40 Jahre Mitglied  im DGRV Rechtsausschuss und weiß wovon er spricht.

Der folgende allgemein gefasste Beitrag bezieht sich auf eine Aussage von Beuthien zum Erscheinungsbild der eingetragenen Genossenschaft. In einem Exkurs wird auf die besondere Rolle der genossenschaftlichen Prüfverbände und auf die Staatsaufsicht eingegangen. In diesem Zusammenhang haben wir uns mit einem aktuellen Negativbeispiel für die „genossenschaftliche Selbstverwaltung“ auseinandergesetzt. Es geht um die Auflösung der Konsumgenossenschaft Altenburg und Umgebung eG.

Teil II befasst bezieht sich auf 3 Kernaussagen von Beuthien. Dieser Beitrag erscheint am 23.März 2020. Beide Beiträge wurden unabhängig voneinander von unterschiedlichen Arbeitsgruppen verfasst.

Zurück zum Thema: Genossenschaften haben  weltweit ein gutes Image. Sie gelten als demokratische Unternehmen, die sich in der Hand der Mitglieder befinden. Genossenschaften fördern ihre Mitglieder, bieten und sichern weltweit 10% aller Arbeitsplätze. Mehr als 12% der Weltbevölkerung partizipieren am System Genossenschaft, das auf Gemeinschaftseigentum  und Basisdemokratie basiert. Genossenschaften arbeiten weltweit nach  dem „Bottom up-Prinzip“. Das bedeutet, die Mitglieder bestimmen den Kurs ihrer Genossenschaft. Die Genossenschaftsidee und die Kooperationsgesellschaft sind weltweit auf dem Vormarsch.  

Auch in Deutschland hat die Rechtsform Genossenschaft einen besonders guten Ruf. Oberflächlich betrachtet ist das genossenschaftliche Erscheinungsbild durchaus positiv. Dieser Ruf beruht auf Leistungen,  die vor ca. 150 Jahren von Sozialreformern wie Schulze-Delitzsch, Raiffeisen und Huber erbracht wurden. Ein Personenkult, der durch jahrelange professionelle Lobbyarbeit  immer wieder aufgewärmt wurde. 

Ein ausgeprägtes Genossenschaftsbewusstsein gibt es 2020 dagegen nicht.  Wir zählen deutschlandweit mehr als 23 Millionen Genossenschaftsmitglieder, die sich auf ca. 8.000 Genossenschaften verteilen. Mehr als 95% der Genossenschaftsmitglieder kennen aber die genossenschaftlichen Grundsätze gar nicht.

Kennzeichnend für die tatsächliche Genossenschaftsentwicklung ist, dass sich bei den traditionellen Genossenschaften (namentlich den Kredit- und größeren Wohnungsgenossenschaften) die förderwirtschaftliche Entscheidungsmacht immer stärker von der Generalversammlung auf den Vorstand verlagert hat. Ursächlich dafür ist, dass die modernen Marktstrukturen  ständig höhere und komplexere fachliche Anforderungen an die genossenschaftlichen Geschäftsleiter stellen (sog. Professionalisierung des Managements), dass die Mitglieder infolgedessen von gemeinschaftlich handelnden Mitunternehmern zu bloßen Kunden des genossenschaftlichen Unternehmens geworden sind und vom Genossenschaftsvorstand auch zunehmend als solche verstanden und behandelt werden. Die gesetzlich eingeführte Befugnis des Vorstands zur eigenverantwortlichen Leitung hat hier ihre grundsätzlich berechtigte Wurzel.“ 

So Beuthien, der aber nicht erwähnt, dass die genossenschaftlichen Prüfungsverbände die Vorstände ihrer Mitgliedsgenossenschaften wie Marionetten steuern und bei Bedarf auch austauschen.

Weltweit werden Genossenschaften von ihren Mitgliedern gesteuert – nur in Deutschland und Österreich herrscht ein aus der NS Zeit stammender Führerkult. Dementsprechend werden die Genossenschaften häufig von oben gesteuert. Dieses „Top down Führerprinzip” erlaubt den Genossenschaftsverbänden, sich wie die Eigentümer zu benehmen. Die Verbände nutzen ihre Verfügungsgewalt aus. Sie greifen in die Belange und in die Geschäftspolitik  der  Genossenschaften ein und verordnen Mustersatzungen. Ein Beispiel liefern die kleinen und mittleren Genossenschaftsbanken. Wir erleben eine  strukturpolitische Flächenbereinigung, die sich aus der Fusionspolitik ergeben. Dieses geschieht mit staatlicher Unterstützung. Entweder durch die Bafin oder durch die Staatsaufsicht. Letzteres belegt ein aktueller Beschluss des Landgericht Gera Aktenzeichen 5T512/19 gegen den Konsumgenossenschaft Altenburg und Umgebung eG. Hier  stärkt das Gericht die Position der genossenschaftlichen Prüfungsverbände, die sich auf heute noch gültige NS-Gesetze berufen und daraus ihre „Herrschaftsposition“ ableiten.

Die Konsumgenossenschaft Altenburg und Umgebung e.G. hat die seit 1934 im Genossenschaftsgesetz vorgeschriebene Zwangsmitgliedschaft in einem Genossenschaftsverband zum Jahresende 2016 gekündigt. Im Januar 2018 forderte das Registergericht die Genossenschaft auf, „binnen einer Frist von zwei Monaten einen anderen Prüfungsverband auszuwählen und die Mitgliedschaft dem Registergericht nachzuweisen.“ Ansonsten „kann das Registergericht die Auflösung der Genossenschaft aussprechen.“ 

Die Konsumgenossenschaft Altenburg eG hatte daraufhin fristgemäß einen Prüfungsverband benannt und die Prüfung der Jahresabschlüsse 2016/17 und 2017/2018 beauftragt.  Allerdings ist die Konsumgenossenschaft Altenburg diesem Verband nicht beigetreten.   

Das Amtsgericht Gera – Registergericht beschloss am 12.11.2019 die Auflösung der Genossenschaft. (GnR 200023 Fall 18) gemäß § 54 a Abs. 2 GenG.  Gegen diesen Beschluss legte der Vorstand der Konsumgenossenschaft sofortige Beschwerde ein. Die zulässige Beschwerde wurde per Beschluss vom 11.02.2020 zurückgewiesen. Somit hat die Auflösung der Genossenschaft von Amts wegen zu erfolgen. 

Die Beschlüsse   belegen die  offensichtlich enge Zusammenarbeit zwischen der Genossenschaftsorganisation und der Staatsaufsicht.  Die Genossenschaftsverbände, die sich als Selbstverwaltungsorganisation verstehen,  haben in Deutschland großen Einfluss auf die Umsetzung des seit 1889 bestehenden Genossenschaftsgesetzes. Ursprünglich sollten die  Genossenschaftsverbände die Genossenschaftsmitglieder vor ihren Verwaltungsorganen schützen. Nach 1934 hat sich die Situation gedreht.   Das  genossenschaftliche Erscheinungsbild erinnert an „staatskapitalistische Strukturen – wie wir Sie aus der DDR oder aus Nordkorea kennen.

Dies erklärt vielleicht auch, warum weder das Prüfungsmonopol noch die ausufernde Verbandslandschaft  von der neoliberalen Wirtschaftspolitik angetastet wurden. Die Privatisierung sollte den freien Markt fördern, darum wurde privatisiert, um den Wettbewerb zu fördern. Ob die  Autobahnraststätten, Energieversorger, Krankenhäuser, kommunale Wohnungen, Wasserwerke. Immer ging es  um Bürokratieabbau und die Förderung des freien Marktes.

Die Genossenschaftsverbände und das Kammerwesen haben dagegen ihren  wettbewerbsfreien Raum  erfolgreich verteidigt und ausgebaut. Entfernen sich viele Genossenschaften von Ihrer Leitidee? Der Teil 2 dieser Abhandlung erscheint am 23.März 2020. Weitere Beiträge der GenoNachrichten zu den Publikationen von Prof. Volker Beuthien gibt es hier

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