Berlin, 15. November 2019 (geno). Schuhmacher gründeten einst in Sachsen die erste Genossenschaft der aufkeimenden deutschen Industriegesellschaft. Nun könnte die Losung „Schuster bleib bei deinem Leisten“ sehr aktuelle Bedeutung gewinnen, denn die vor mehr als 100 Jahren von Wohnungsgenossenschaften gegründete Organisation Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) steht vor einer Zeitenwende. Nun wird der BBU durch Verbandsaustritt bedroht. Denn auch die Wohnungsgenossenschaften können per Mitgliederbeschluss ihren Prüfungsverband wechseln.

Unsere Genossenschaftsverbände sind von der Interessenvertretung zur Selbstverwaltungs-Organisationen mutiert. Das Geschäftsmodell basiert auf Zwangsmitgliedschaft und Pflichtprüfungen. Die „kriegsentscheidende“ Wende kam mit der Gesetzesänderung im Jahr 1934. Adolf Hitler hat bei dieser Gelegenheit auch das Führerprinzip etabliert. Genossenschaft funktioniert seit dem von oben nach unten.

Pflichtmitgliedschaft und Prüfungsgebühren betragen, je nach Größe der Genossenschaft, auch schon mal 100.000 € im Jahr und mehr. Diese Kosten für einen weitgehend unproduktiven Verwaltungsapparat werden allein von den Genossenschaftsmitgliedern getragen. Es handelt sich um eine wettbewerbsfreie Zone mit staatlich garantierten Einnahmen. Das genossenschaftliche Verbandswesen wurde niemals in Frage gestellt und hat sogar die neoliberale Privatisierungswelle überlebt. Die traditionell guten Beziehungen zur Politik zahlen sich aus.

Die BBU-Stellungnahme zum Berliner Mietendeckel spricht für sich. Dass die zum Bundesverband der Deutschen Wohnungswirtschaft GdW gehörenden Verbände kapitalorientierte Investmentgesellschaften und auch die Genossenschaften vertreten, ist ein Skandal. Aber es geht noch weiter, der GdW bezeichnet sich als genossenschaftlicher Spitzenverband und macht Politik.
Nicht für, sondern gegen die Genossenschaftsmitglieder, die zum Zahlmeister degradiert wurden. Die Antwort heißt Verbandswechsel, dieser muss notfalls durch die Generalversammlung beschlossen werden.

Wie die „Berliner Morgenpost“ am Freitag berichtet, wird in acht Tagen auf dem Landesparteitag der Berliner Linkspartei über einen Antrag entschieden, die landeseigenen Wohnungsgesellschaften Berlins aus dem BBU herauszulösen. Zur Begründung führen die Antragsteller an, dass der BBU als „politischer Arm der profitorientierten Wohnungskonzerne“ agiert. Der Verband opponiere gegen den Berliner Mietendeckel und das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“.

Sollte der Antrag durchgehen, könnten der Verband BBU und seine Vorsitzende Maren Kern gezwungen sein, sich auf die ursprüngliche Genossenschaftsidee zurückzubesinnen. Damit einher ginge allerdings eine erhebliche materielle und finanzielle Einbuße. Aus dem Bestand von rund 700.000 Wohnungen, die derzeit von BBU-Mitgliedsunternehmen bewirtschaftet werden, würden etwa 300.000 Wohnungen herausfallen. Es könnte zu einer besonderen Art des Gesundschrumpfens kommen.
Außerdem könnten einige Mitgliedsgenossenschaften verärgert auf die Verbandspolitik reagieren und sich einem anderen Verband anschließen.
Dann wäre der BBU durch Verbandsaustritt bedroht. ++ (wg/mgn/15.11.19 – 198)

www.genonachrichten.de, e-mail: mg@genonachrichten.de, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), tel. 0176 / 26 00 60 27

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