Genossenschaftsidee – Delitzsch/Berlin, 4.Juli 2018 (geno). Die Genossenschaften waren für Hermann Schulze-Delitzsch Teil einer großen freiheitlichen und demokratischen Bewegung, der Nationalbewegung. Die genossenschaftliche Organisationsform bezeichnete er als „Schule der Selbstverwaltung für Gemeinde und Staat“. Das stellt der renommierte Berliner Genossenschaftsexperte Wilhelm Kaltenborn in der jüngsten, Anfang Juli erschienenen Ausgabe des Vierteljahresperiodikums „GenoSplitter“ fest. Der selbstbestimmte und selbstverantwortliche Bürger sollte an die Stelle des Untertanen treten. Zu dieser Bewegung gehörten neben den Wirtschaftsgenossenschaften auch Arbeiterbildungsvereine, Gewerkschaften, Hilfskassen – also Sozialversicherungsvereine – auf der Grundlage der Selbsthilfe. Schulze-Delitzsch habe sich in der Volksbildung engagiert, für Pressefreiheit und das allgemeine Wahlrecht gekämpft. Diese Seiten des Genossenschaftspioniers seien jedoch heute weitgehend vergessen. Mit der Freiheit habe für ihn die Würde des Menschen in einer „unzertrennbaren Wechselbeziehung“ gestanden. „Die eigentliche Blüte des Genossenschaftswesens“ sei für Schulze-Delitzsch nichts Geringeres „als die Hebung des Gemeinsinns“ gewesen. Kaltenborn weist darauf hin, dass Schulze-Delitzsch also nicht nur die rechtliche, sondern vor allem die gesellschaftliche Dimension der Genossenschaften betrachtete.
In diesem Zusammenhang weist Kaltenborn auf eine Veranstaltung der Deutschen Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft hin, deren Vorsitzender Axel Viehweger zum Auftakt auf die regionalen, nachhaltigen und demokratischen Aspekte der Genossenschaften als alternatives Wirtschaftsmodell eingegangen war. Dass diese Charakteristika im wirklichen genossenschaftlichen Leben gefährdet sein könnten, sei wohl ein nicht allzu abwegiger Gedanke.
Kaltenborn widmete sich dann in dem Beitrag ausführlich vier Präsentationen von neugegründeten Genossenschaften, denen er Problembewusstsein, Tatkraft, Phantasie und Gemeinschaftsgefühl bescheinigt – wie sie schon die Gründer der frühen modernen Genossenschaften in England und Deutschland auszeichneten: Werra-Hanf eG, KulturQuartier Schauspielhaus eG Erfurt, Vive Berlin eG und EHRENBERG Schülergenossenschaft Delitzsch. Das alles sei heute natürlich „bei einer siebzig Jahre alten Genossenschaftsbank mit hundertausend Mitgliedern und angesichts der unglaublich dichten Regulierungsvorschriften für Banken nicht zu realisieren, noch nicht einmal zu erhoffen.“ Er verglich sie mit einer Karikatur der Genossenschaftsidee. Es gebe kaum einen erkennbaren Unterschied zu jeder x-beliebigen Geschäftsbank wie beispielsweise der Deutschen Bank. ++ (hi/mgn/04.07.18 – 130)
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