Karl Marx und Friedrich Wilhelm Raiffeisen feiern 2018 Geburtstag. Beide sind vor 200 Jahren geboren. Marx in Trier und Raiffeisen im beschaulichen Hamm /Sieg. Marx war ein umtriebiger, weltoffener Atheist und lebte zuletzt, des Landes verwiesen, in London. Raiffeisen war ein bodenständiger tiefgläubiger Christ, der vor seiner Haustür begraben wurde.
Beide haben viel bewegt oder besser in Bewegung gesetzt. Marx war ein Philosoph und Theoretiker. Raiffeisen ein pragmatischer Praktiker. Der Kommunismus nach Marx wurde irgendwie falsch verstanden und als totalitäre Schreckensherrschaft umgesetzt.
Das von Raiffeisen umgesetzte Konzept der Genossenschaften erwies sich als funktionstüchtig und kann nachweislich sogar glücklich machen. Natürlich nicht immer und überall und auch nur wenn die Genossenschaftsidee richtig gelebt wird, aber immerhin.
Genossenschaften hatten auch damals schon etwas mit Politik zu tun. Genossenschaften wurde eingeführt um die befürchteten Unruhen hungriger Land- und Lohnarbeiter einzudämmen, denn die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie und die Forderungen der aufkeimenden Gewerkschaftsbewegung störten die Arbeitsabläufe, gemeint ist die Kapitalakkumulation.
Genossenschaften sorgten für Beschäftigung im doppelten Sinne. Die Menschen waren mit sich selbst beschäftigt – kamen nicht auf dumme Gedanken und hatten Einkommen.
Genossenschaften sollten ihre Mitglieder und zwar nur diese bei ihrer – Wirtschaft und bei ihrem Erwerb fördern. So steht es im Gesetz von 1869.
Es geht um den genossenschaftlichen Förderauftrag und dessen Umsetzung. Die Umsetzung der Genossenschaftsidee war schon früh umstritten. Bereits im ersten Jahr nach Raiffeisens Tod forderte der Reichstag am 23. März 1889 den Schutz der Genossenschaftsmitglieder vor ihren Verwaltungsorganen. Gemeint war die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und es kam noch viel viel schlimmer.
Raiffeisen und Marx hatten auch gemeinsame Themen. Es ging um Geld, bzw. deren Verteilung und Vermehrung und um die Arbeitsbedingungen. Marx ging es um die Akkumulation – Raiffeisen um die Wucherzinsen. Hintergrund war eine Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, die sich gerade erst mit der Lohnarbeit anfreunden mussten. Dieser Anpassungsprozess wird industrielle Konditionierung genannt und ist Montags morgens manchmal immer noch einigermaßen schmerzhaft nachvollziehbar. Bei weiten Bevölkerungsteilen führt diese, systembedingte Abrichtung zum Industriearbeiter zu einer langsamen Abstumpfung und Lethargie. Ja, Arbeit macht auch krank, verursacht Stress – vor allem auch die Angst um den Arbeitsplatz und somit um die Existenz. Auch wenn sich die Arbeit 2018 verändert hat.
Auch über das Kapital wollen wir 2018 nicht reden. Geld hat man oder man hat es nicht. In beiden Fällen ist man nicht unbedingt glücklich. Geld wird 2018 nicht mehr erarbeitet, nicht mehr gedruckt, sondern elektronisch erzeugt, verbucht oder zugeteilt.
Marx wäre ersetzt. Auch die Entfremdung der Lohnarbeit nimmt neue Gestalt an. Die Lohnarbeiter sind weitgehend ausgestorben und in der Dienstleistungsgesellschaft des Informationszeitalters kaum noch zu gebrauchen. 2018 leben wir in einer digitalen, arbeitsteiligen Welt.
Bei Marx ging es um den Mehrwert, der durch Arbeit geschaffen und von den Kapitalisten einbehalten wurde um noch mehr Kapital zu produzieren. Raiffeisen wollte Geld in den regionalen Wirtschaftskreislauf stecken um die regionale Wirtschaft fördern in dem er die Genossenschaftsmitglieder förderte.
Marx wollte die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beenden und entwickelte ein interessantes, theoretisches Konzept die alte Klassengesellschaft abzuschaffen, was Teile der Arbeiterschaft erfreute und die Adelshöfe europaweit in Panik versetzte. Die gewaltsame Umsetzung seiner klassenkämpferischen Ideen führte allerdings zur totalitären Herrschaft einer neuen Führungskaste, oder der Ausbeutung des Menschen durch Menschen.
Mit anderen Worten die Abschaffung der Klassensystems führte zu einer neuen noch mächtigeren Klassengesellschaft, mit eigenen Wohnbezirken, besonders großen Dienstfahrzeugen, eigenen Fahrspuren und Shops. Die neue herrschende Klasse der roten Barone leiteten jetzt auch den Staatsapparat und erreichte mehr als alle Lobbyisten im kapitalistischen Wirtschaftssystem.
Ganz plötzlich standen sich zwei gegensätzliche Systeme gegenüber. Der alte ehrfürchtige Kapitalismus und der von Marx angezettelte Kommunismus. Die Nazi Zeit war vorbei und verdrängt, die Nazigesetze wurden vergessen und beibehalten. Der „kalte Krieg“ begann mit einem häßlichen Zaun mitten durch das Land von Raiffeisen und Marx.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Kapitalismus und dem Kommunismus war die soziale Mobilität, ein ausgeklügeltes Belohnungssystem mit bunten Markenwelten und enormer Produktvielfalt.
Während im kapitalistischen System Arbeiter, die eigene Initiativen entwickelten, die Chance hatten im System aufzusteigen, hatten Genossen mit zu viel Eigeninitiative im real existierenden Sozialismus, also auch auf der anderen Seite des Zauns, häufig erhebliche Probleme.
Genossenschaften gab es in beiden Systemen. Mit der ursprünglichen Genossenschaftsidee hatten Beide nicht viel gemeinsam. In beiden Systemen waren die Vorstände einigermaßen privilegiert und eine Vergütungssolidarität weitgehend unbekannt. Die Kontrollfunktion des sozialistischen Staatsapparats auf der anderen Seite des Zauns wurde durch ein streng hierarchisches Verbandssystem noch übertroffen. Die Interessenlage der Genossen und das Thema Partizipation waren beiden fremd.
Der großangelegte Feldversuch des real existierenden Sozialismus wurde 1989 von den Betroffenen beendet.
Die deutsche Genossenschaftsbewegung war schon früher dran und wurde bereits 1934 gleich- bzw. abgeschaltet. Die kümmerlichen Reste stehen seit 2017 unter dem Schutz der UNESCO und sind Weltkulturerbe.
Somit konnte sich auch die Genossenschaftsbewegung im Heimatland von Raiffeisen und Marx auch nicht durchsetzen. Die Idee in einem gemeinsamen Unternehmen, gemeinsam Werte zu schaffen und die Erträge einigermaßen gerecht zu verteilen, scheiterten an der Gier und dem Machtbestreben Einzelner. Schade. Der Generalverdacht die Rechtsform Genossenschaft hätte etwas mit Sozialismus zu tun, ist heute noch weit verbreitet.