Vertreterversammlung das Ende der genossenschaftlichen Mitbestimmung

Das ursprüngliche, zum 1. Oktober 1889 in Kraft getretene Genossenschaftsgesetz schloss ein Vertretungsverfahren kategorisch aus. Erst durch die Novelle des Gesetzes vom Juli 1922 trat in dieser Hinsicht eine Änderung ein, die mit gewissen Variationen bis heute gültig ist.

Der Antrag an den Gesetzgeber, die Pflicht zur Einführung einer Vertreterversammlung wurde offenbar vorher gut geplant und in den Wirren der Nachkriegszeit nach dem 1. Weltkrieg im Hungerjahr 1922 gestellt. Hintergrund der von den Konsumgenossenschaften eingebrachten Initiative waren die Hyperinflation und die steigenden Brotpreise. Der damalige Reichstag, der sich um das Wohl der hungernden Bevölkerung kümmern musste, winkte dieses Gesetz ohne jegliche Diskussion in wenigen Sekunden durch. Die Einführung der Vertreterversammlung war beschlossen. Beschlossen wurde, dass bei Genossenschaften mit mehr als 10.000 Mitgliedern eine Vertreterversammlung die Generalversammlung der Mitglieder ablösen muss.

Doch dies war den Verbänden nicht genug und so wurde bereits im Jahr 1926 eine Änderung dazu eingereicht. Dabei wurde die Zahl der Mitglieder ab denen die Einführung einer Vertreterversammlung zwingend Pflicht wurde, von vorher 10.000 auf 3.000 Mitglieder herabgesetzt.

Zu diesem Änderungsentwurf gab es vom Abgeordneten Hoernle, der die Drahtzieher hinter dieser Einführung erkannte,  u.a. folgende Debattenbeitrag: 

Wer steht eigentlich hinter diesem Entwurf? Wer hat den Wunsch auf eine solche Änderung des Gesetzes ausgesprochen? Hinter diesem Entwurf stehen die Instanzen des Zentralverbandes der deutschen Konsum-Vereine. Das geht ganz klar aus den Verhandlungen des Genossenschaftstages hervor, der im Juni des letzten Jahres in Stettin stattgefunden hat. Dort hat Herr Bästlein ganz offen und ohne jede Maskierung den Zweck der Angelegenheit ausgesprochen. Den Herren Genossenschaftsbürokraten ist es unbequem, dass die Masse der Genossenschaftsmitglieder persönlich und direkt zu der gesamten Genossenschaftspolitik der Spitzen in den Generalversammlungen Stellung nimmt.“ 

Die beantragte Änderung erfolgte ebenfalls. Seitdem galt im Genossenschaftsgesetz die Bestimmung, dass in Genossenschaften mit mehr als 1.500 Mitgliedern eine Vertreterversammlung eingeführt werden kann, jedoch bei mehr als 3.000 Mitgliedern zwingend eingeführt werden muss.

Erst im Jahr 1993 wurde diese Muss-Bestimmung durch eine Kann-Bestimmung im Gesetz ersetzt. Dies nützte jedoch den Genossenschaften die bereits eine Pflichtvertreterversammlung eingeführt hatten, nicht. Zwar hätten nun die Mitglieder die Möglichkeit, noch einmal darüber abzustimmen, ob sie weiterhin eine Vertreterversammlung wollen oder ihre ureigensten Mitgliederrechte wieder selbst wahrnehmen wollen. Doch ebenso wie vieles andere, wird diese Möglichkeit den Mitgliedern von Vorständen und Verbänden verheimlicht. Denn noch immer ist den Genossenschaftsbürokraten zu unbequem, dass Mitglieder mitreden und ihre Meinung einbringen können.  Schließlich ist eine Vertreterversammlung, mit sorgfältig vom Vorstand ausgesuchten und linientreuen Vertretern, leichter zu führen. Im Gegensatz zu vielen Mitglieder, die noch eine eigene Meinung haben und sich nicht scheuen, diese auszusprechen. 

Dieser Beitrag wird fortgesetzt.

Genossenschaftsgesetz, Vertreterversamlung
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