Der liberale Reichstagsabgeordnete Schulze Delitzsch wurde als Pate der ersten Volksbanken bekannt. Er führte 1869 auch das Genossenschaftsgesetz in Preußen ein.
Wenn Genossenschaften zu groß werden, um ihre Mitglieder zu fördern, oder wenn die Anforderungen an den Kapitalbedarf steigen, sollen sie sich nach Schulze Delitzsch im Interesse der Mitglieder in genossenschaftliche Aktiengesellschaften umwandeln.
Auch heute noch sind Genossenschaften per Genossenschaftsgesetz (GenG) § 1 dazu verpflichtet ihre Mitglieder zu fördern. Ohne nachgewiesenen Förderzweck sind Genossenschaften nicht zulässig. Die Überprüfung der Einhaltung des Förderzwecks erfolgt regelmäßig durch die genossenschaftlichen Prüfungsverbände.
Wie diese Mitgliederförderung aussieht, sollten laut international gültigen genossenschaftlichen Standards die Mitglieder der Genossenschaft selbst entscheiden und nicht übergeordnete Genossenschaftsverbände oder wissenschaftliche Lehrstühle.
Die Volks- und Raiffeisenbanken sind rechtlich selbstständige Unternehmen in der Rechtsformen der eingetragenen Genossenschaft, deren Geschäftszweck es ist ein Bankgeschäft zu betreiben. Dieses Bankgeschäft wird immer komplizierter, hat viele Regeln, hohe Anforderungen und befindet sich im totalen Umbruch.
Hohe Anforderungen gelten grundsätzlich aber auch an das übergeordnete Genossenschaftsgesetz. Werden diese genossenschaftlichen Regeln missachtet, aufgeweicht oder wird falsch gespielt, ist es höchste Zeit für Konsequenzen.
Ist die Mitgliederförderung einer Genossenschaft nicht mehr gewährleistet, da sich der Geschäftsgegenstand der Genossenschaft geändert hat, kann nach § 81 GenG eine Auflösung oder ein Rechtsformwechsel notwendig werden.
Ein Problem mit dem vor allem unser Volks- und Raiffeisenbanken konfrontiert werden, denn auch für Genossenschaftsbanken steht die Rechtsform Genossenschaft über dem Geschäftszweck Bankdienstleistungen. Der Geschäftszweck folgt immer der Rechtsform und nicht umgekehrt.
Allerdings ist allein die Bereitstellung von Bankdienstleistungen keine Mitgliederförderung im Sinne des Genossenschaftsgesetz, da Mitglieder und sonstige Bankkunden gleich behandelt werden. Die Mitglieder haften mit ihrer Einlage, sonstige Bankkunden nicht.
Die Abgrenzung zwischen einer Genossenschaft und einer Kapitalgesellschaft ist nicht neu. Auf eine Anfrage an Schulze Delitzsch nach der Umwandlung einer eG in eine AG antwortete dieser, „dass es für die Mitglieder einer eG wohl ein Segen sei, der nicht ausgeschlagen werden sollte.“ (*) Grundsätzlich geht es bei der Rechtsform Genossenschaft um die Interessen der Mitglieder, bei der Rechtsform Aktiengesellschaft dagegen um die Interessen des Kapitals.
Entfernt sich ein Unternehmen in der Rechtsform Genossenschaft von seinen genossenschaftlichen Prinzipien oder kann diese wegen der Größe und der Mitgliederanzahl nicht mehr umsetzen, ist ein Rechtsformwechsel überfällig.
Vereinfacht ausgedrückt ersetzt heute die genossenschaftliche Mitgliederförderung in der eG die systemtypische Kapitalbeteiligung des Aktionärs an seiner AG. Genossenschaftsmitglieder sind nicht am Wertzuwachs ihres Geschäftsanteils beteiligt, sie werden beim Ausscheiden oder auch bei der umstrittenen Fusionspolitik nach dem Nominalwertprinzip abgefunden. Nach den Verständnis des DGRV: sind „Mitglieder von Genossenschaften grundsätzlich nicht an den Rücklagen und sonstigem Vermögen der Genossenschaft (einschließlich stiller Reserven) beteiligt, § 73 Abs. 2 S. 3 Genossenschaftsgesetz (GenG)“ Da das Mitglied von den Leistungen der Genossenschaft und nicht von einer Wertveränderung seiner Anteile – wie z.B. bei einer Aktiengesellschaft – profitiere, sei dieses Nominalwertprinzip auch Ausdruck des gesetzlich festgelegten genossenschaftlichen Förderprinzips.
Aktionäre dagegen sind am inneren Wert ihres Unternehmens beteiligt. Genau dass meinte Schulze Delitzsch mit seiner Aussage, dass ein Rechtsformwechsel … für die Mitglieder einer eG wohl ein Segen sei, der nicht ausgeschlagen werden sollte.“
(*)Quelle Prof. Rolf Steding in WIR. Das Genossenschaftsblatt aus Mitteldeutschland“, 1/2009