Bullay/Neustadt den 25.01.2022. Die Vertreterversammlung soll die Generalversammlung ersetzen. Laut Genossenschaftsgesetz kann die genossenschaftliche Mitbestimmung auf die Verteterversammlung übertragen werden.
Am Beispiel der am 8.Juni 2021 von ihrer Vertreterversammlung aufgelösten Genossenschaft VR meine Bank eG, Neustadt, soll einmal die Bedeutung des Vertreteramts vorgestellt werden. Dieser Teil befasst sich mit dem Wahlvorgang.
Vertreterversammlungen sind eine wichtige Angelegenheit und Teil des demokratischen Selbstbestimmungsrechtes der Mitglieder, sich an den Belangen der Genossenschaft, der sie angehören und deren Eigentümer sie sind, zu beteiligen. Dementsprechend fand auch bei der VR meine Bank eG am 26.01.2021 die Wahl zur Vertreterversammlung statt. Laut des Jahresabschlusses zum 31.12. 2019 besaß die Genossenschaft Ende 2019 32.234 Mitglieder. Neuere Zahlen liegen nicht vor, sind aber für die folgenden Überlegungen ohne Bedeutung. Neben dem Datum wurden auch die Orte vom Wahlausschuss festgelegt. Abgestimmt werden konnte von den Genossenschaftsmitgliedern in 3 Hauptstellen und 8 Geschäftsstellen und zwar während der Öffnungszeiten. Zu diesem Zweck wurden 11 Wahlräume zur Verfügung gestellt.
Sieht man sich die Wahlorganisation genauer an, so entstehen Fragen. So gab es zwar einige Geschäftsstellen, die bereits um 8.15 geöffnet hatten, vier Geschäftsstellen öffneten dagegen erst um 9.00 Uhr. Die meisten Geschäftsstellen schlossen bereits um 12.00 Uhr, zwei schlossen um 12.30 Uhr und eine um 13.00 Uhr. Fünf Geschäftsstellen hatten auch nachmittags im Zeitfenster 14.00 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet.
Daraus ergibt sich:
a) Wer innerhalb des Zeitfensters 8.15 bis 16.00 Uhr berufstätig war (Einzelhandel, Schichtarbeit etc.) oder an dem Termin verhindert war, hatte keine Möglichkeit an der Wahl teilzunehmen.
b) Die für die Wahl zur Verfügung stehende Zeit in den 11 Wahlräumen betrug insgesamt 3.570 Minuten. Teilt man diese Zahl durch 32.234 Mitglieder, ergibt sich rechnerisch eine Zeit von maximal 6,65 Sekunden pro Genossenschaftsmitglieder für die Anmeldung, den Abstimmungsvorgang, den Einwurf des Stimmzettels in die Wahlurne und die Abmeldung zur Verfügung.
c) Nimmt man an, dass der tatsächlich benötigte Zeitaufwand für die Abstimmung pro Mitglied 4 Minuten beträgt, dann konnten bei dieser Wahl während der Öffnungszeiten der Wahllokale insgesamt maximal 893 Mitglieder an der Wahl teilnehmen (3.570 Minuten Gesamtzeit : 4 Minuten Wahlzeit pro Mitglied). Daraus ergäbe sich eine maximal mögliche Wahlbeteiligung von 2,77 %.
Geht man davon aus, dass in jedem Wahllokal statt nur einer Wahlkabine insgesamt vier Wahlkabinen aufgestellt waren, so würden sich die Zahlen vervierfachen. Es hätten also maximal 3.572 Mitglieder teilnehmen können und die Wahlbeteiligung würde auf 11,08 % der Mitglieder ansteigen.
Ergebnis: Den meisten Mitgliedern (fast 29.000) wurde die Möglichkeit zur Teilnahme an der Wahl zur Vertreterversammlung rein rechnerisch verwehrt.
Organisiert wurde die Wahl von einem Wahlausschuss, dessen Vorsitzender der Vorstandsvorsitzende der Bank war. Sowohl dem Wahlausschuss als auch dem Vorstand der Bank müssten die hier errechneten Zahlen vollumfänglich bekannt sein. Entweder legt die Bank also keinen hohen Wert auf demokratische Mitbestimmung der Mitglieder oder die Genossenschaftsmitglieder wissen gar nicht, welche Rechte sie haben. Beides entspricht nicht dem Grundverständnis von Genossenschaften.
Übrigens: Es ist bei den meisten Wahlen zur Vertreterversammlung bei anderen Genossenschaftsbanken nicht anders. Auch dort steht meist zu wenig Zeit für die Gesamtzahl der Mitglieder zur Verfügung.
Darüber hinaus fragt sich igenos e.V., welche Rolle bei der Durchführung derartiger Wahlen der Prüfungsverband spielt, der Förderzweck, Satzung und Protokolle der Mitgliedsgenossenschaften prüft und im Sinne der genossenschaftlichen Idee auch eingeschränkte Wahlmöglichkeiten der Genossenschaftsmitglieder monieren müsste.