Berlin, 22. Oktober 2021 (geno). Abgesagte Mitgliederversammlungen, übermächtige Aufsichtsräte und Stillstand der demokratischen Mitwirkung sind Massen-Phänomene in Genossenschaften zu Pandemie-Zeiten geworden. Covid-19 muss dafür herhalten, dass bequem gewordene Leitungsgremien in Eigenregie ihre Leistungsverpflichtungen absenken und weitgehende Handlungswillkür Einzug hält. Die Pandemie dient dabei als Universalwaffe. Begünstigt wird solches Verhalten durch den vom Gesetzgeber geänderten Rechtsrahmen. Beispielsweise können Vorstände und Aufsichtsräte nach Ablauf ihrer Wahlperiode im Amt bleiben. Die Abrechnungspflichten wurden lascher. Der Rechtsform Genossenschaft wurde in gewisser Weise die „wesenseigene Seele“ genommen. Die ursprünglich bis Ende 2020 befristeten Lockerungen wurden sogar noch bis Ende des Jahres 2021 verlängert.
Kreative Kooperativen ließen sich Gegenmittel einfallen. Eine davon ist die virtuelle Mitglieder- oder Vertreterversammlung. Beispiele nennt Günter Piening im Blog www.genossenschafter-innen.de und erläutert sie. Einige Genossenschaften hätten wenigstens den Versuch unternommen, Mitglieder- oder Vertreterversammlungen zu veranstalten. So habe die Berliner Wohnungsgenossenschaft Treptower Park eG eine Präsenzveranstaltung geplant. Letztlich fiel sie dem November-Lockdown zum Opfer.
Online-Versammlungen gab es in Berlin nur wenige. Eine Ausnahme bildete die DIESE eG, die eine reine Online-Mitgliederversammlung mit Vorstandsentlastung, Wahlen und Satzungsänderung erfolgreich absolvierte. Über Online-Verfahren lassen sich alle Abläufe und Entscheidungen einer Mitgliederversammlung gestalten. Sie werden häufig durch einen professionellen Dienstleister organisiert. Die meisten Genossenschaften nutzen dazu die Software des Berliner Unternehmens Polyas oder die elektronische Technik von VOXR.
Um eine virtuelle Mitgliederversammlung transparent zu machen, braucht es allerdings Vorlaufzeit, damit Anträge diskutiert werden können. Oft werden Anträge, Beschlussvorlagen und andere Schriftstücke in einer Online-Cloud deponiert, zu der die Abstimmungsberechtigten Zugang haben. Fragen und Antworten können direkt per e-mail ausgetauscht werden bzw. an Vorstand oder Aufsichtsrat gegeben werden. Als gelungenes Exempel wird die digitale Vertreterversammlung der Volksbank Eifel eG erwähnt, die dazu eine Kooperation mit der VR-NetWorld GmbH eingegangen war. Vorstandsmitglied Andreas Theis berichtete davon, dass die Beteiligung an der viruellen Zusammenkunft noch über dem Niveau einer Präsenveranstaltung lag. Die Genossenschaftsbank Unterallgäu bediente sich der digitalen Plattform „Mitgliedernetzwerk“, um ihre Versammlung beanstandungslos durchzuführen. Die Abstimmungen der Vertreter erfolgten in geheimer Form mittels einer BSI-zertifizierten Wahlsoftware.
Bei Wohnungsgenossenschaften ist die „Mitglieder/Vertreterversammlung (virtuell) im schriftlichen Verfahren“ beliebt. Dabei werden Beschlüsse im schriftlichen Umlaufverfahren gefasst, ohne eine Versammlung einzuberufen. Allerdings ist das rechtlich umstritten, weil weder Nachfragen der Vertreter noch die Diskussion von Beschlussvorlagen möglich sind. Diese Methode wäre ein Anfechtungsgrund, denn es wäre ein Verstoß gegen die Mitgliederrechte. ++ (pa/mgn/22.10.21 – 120)
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