Genossenschaften gründen: Das liegt derzeit im Trend. Man will im Kollektiv arbeiten, gemeinsam etwas mit anderen machen und/oder sozial und nachhaltig aktiv sein. Eine gute Idee. Aber auch eine Idee, die sehr gut durchdacht sein will. Um die formalen und rechtlichen Voraussetzungen und Folgen soll es hier nicht gehen, sondern um die grundsätzliche Frage, wie man gemeinsam Erfolg haben kann.
An sich klingt ja einfach: Ein paar Kumpels, Freunde und Freundinnen, Frauen und Männer, welche die gleiche Wellenlänge haben, schließen sich kurz, um gemeinsam ihre Zukunft zu gestalten. Ob als soziales Projekt, als Dorfladen, als Zusammenschluss von verschiedenen Gewerken, als Bürgergenossenschaft oder Wohnungskooperativen. Mit Transparenz, demokratischen Strukturen und der Bereitschaft, für die Gemeinschaft zurückzustecken, geht man idealistisch an die Arbeit und freut sich auf ein selbstbestimmtes Arbeiten.
Das funktioniert durchaus. Aber nur, wenn sich alle Beteiligten der Risiken bewusst sind. In einer Genossenschaft ist es wie in einer guten Ehe: Man muss sich Luft lassen und an der Beziehung arbeiten. In den 80igern des letzten Jahrhunderts gab es viele aufstrebende Startups der Computerbranche. Kleine Betriebe, gegründet von Freunden, die sich von der Uni kannten und mit der beginnenden technologischen Revolution durch Computer eine ganz neue Chance für eine Gründung sahen. Ende der 80iger Jahre standen viele von ihnen vor dem Ruin. Was war passiert? Ich erinnere mich an einen Fall eines Bekannten. Wie stand er da mit leuchtenden Augen und erzählte von seiner Programmierung, die ein Problem löste, dass bekannt war. „Und warum hast Du diese Idee nicht verkauft?“ „Ach weißt Du, so zu den Leuten hingehen und denen jetzt das anbieten, das war nicht so mein Ding, ich bin doch Programmierer.“ „Aber das hat Dich doch Geld gekostet.“ „Ja schon, ich habe halt gedacht, die anderen vermarkten das schon für mich, aber das war dann nicht so. Die haben meine Idee für sich genutzt. Aber die Idee war gut“. Nun war seine Frau Lehrerin und er musste keinen Hunger leiden, aber es zeigte das Dilemma: Idee und Geld verdienen.
Aus dieser Geschichte ließ sich folglich dreierlei lernen:
Erstens: Ich brauche einen Businessplan und zwar einen ganz Konventionellen. Das ist natürlich lästig, denn man hat eine Vision, aber ich muss vorher durchdenken, wie wir das Projekt finanzieren und zu einem finanziellen Erfolg bringen will. Natürlich werden sich Parameter ändern, wenn man erst einmal am Markt ist, aber die entscheidende Frage ist doch immer: Wieviel Geld brauche wir, um zu starten? Wieviel Geld, um das Startgeld zu erwirtschaften? Wieviel Geld, um die laufenden Kosten zu bezahlen? Und wieviel Geld brauche ich für mich persönlich – und zwar nicht auf Studentenniveau, sondern mit Altersvorsorge, Krankenkasse, Miete, Essen, Urlaub und Rücklagen für Investitionen. Die Rechnung, ich bin als Student mit 1000 Euro ausgekommen, das kann ich auch als Genossenschaftsmitglied, greift zu kurz, denn alleine der Posten der Altersvorsorge und der Krankenkasse, privater Versicherungen etc. übersteigen diesen Betrag deutlich, wenn die Absicherung halbwegs auskömmlich sein soll und nicht auf Grundrentenniveau bleiben soll, mit der man in den Großstädten kaum noch Existenzmöglichkeiten hat. Auch wenn die Rente vielleicht noch Lichtjahre entfernt ist, aufholen kann man das Defizit junger Jahre kaum. All diese Punkte müssen in die Businessüberlegungen eingehen, denn schließlich soll es sich um ein genossenschaftliches Lebenswerk handeln und nicht um ein kurzzeitiges Experiment im Lebenslauf.
Dass dann das zugrundeliegende Vertragswerk diese Vorübergegangen abbilden sollte und für Rechtssicherheit sorgen sollte, ist auch klar. Das hat weniger mit mangelndem Vertrauen zu tun, sondern – wie in einer guten Ehe – mit der Vorsorge, sich später nicht mit Rechtsstreitigkeiten überziehen zu müssen. Dazu gehört auch, sich mit den genossenschaftlichen Regeln auseinanderzusetzen, die darin bestehen, dass die genossenschaftliche Einlage nicht als Betriebsanteil zu werten ist. Macht die Genossenschaft Millionen, so ist man nicht Millionär, sondern nur vermögend in der Höhe der Einlage, die man getätigt hat. Wer also zu Höherem strebt, muss sich überlegen, ob die Genossenschaft die richtige Rechtsform für ihn ist.
Zweitens: Damit es kein kurzzeitiges Experiment wird, muss auch genau überlegt werden, wie sich die Zusammenarbeit gestaltet. Manch eines der oben angesprochenen Startups wollte hierarchiefrei wirtschaften und wuchs innerhalb kurzer Zeit zu einer interessanten Größe an. Knackpunkt war meistens die Grenze von 35 Mitarbeitern. Die vier oder fünf Gründer konnten bis zu dieser Betriebsgröße das Unternehmen noch kooperativ führen, aber über kurz über lang musste man feststellen, dass die Unternehmensteile sich verselbständigten. Plötzlich konnte nicht mehr jeder mit jedem seine eigene Suppe kochen, sondern man musste Aufgabenfelder erstellen, bei denen den Mitarbeitern klare Aufgaben zugewiesen werden mussten, also administrative Fähigkeiten entwickeln. Leider waren die Freude alle Programmierer und hatten sich nie Gedanken gemacht, wie man einen Betrieb organisiert. Also übernahm einer der Freunde die Aufgabe, Strukturen zu entwickeln und begann dann, seine Freunde zu bevormunden oder deren Leistung zu bewerten, um die Struktur umsetzen zu können. Das ließen die sich nicht gefallen, denn man war ja gleichberechtigt und bisher hatte man die Dinge doch locker gesehen, also gab es die ersten Konflikte. Das Ende vom Lied war dann, dass einige der Freunde das Unternehmen verließen, es letztlich nur noch einen Chef gab – nämlich den Organisator – und der sich dann statt seiner Freunde Mitarbeiter holte, die sich in das Unternehmensziel einbinden ließen. Zudem wurden die Schwerpunkte von der Programmierung weg auf Verkauf, Buchhaltung und Marketing gelegt, denn Programmierer konnte man austauschen, der Verkauf musste dagegen den Betrieb finanzieren. Das wäre im alten Team nicht gegangen, denn da war jeder davon überzeugt, dass sein Bereich der Wichtigste ist. So stellt sich schon bei der Gründung die Frage, ob wirklich alle Felder dessen abgedeckt sind, die für das Wirtschaften notwendig sind. Anders ausgedrückt: Eine Malergenossenschaft wird sich schwer am Markt tun, wenn sich nur Maler zusammentun, die gerne Innenräume gestalten. Es muss Menschen geben, die Aufträge heranschaffen, die Buchhaltung machen, die Einsatzpläne koordinieren, Verträge aushandeln, das Aufmaß kontrollieren etc. etc. Natürlich kann das alles mit Personal gemacht werden, aber das bedeutet wieder hohe Kosten. Selbst wenn nur ein Mindestlohn gezahlt wird, kommt bei einem Bruttolohn von derzeit 1811,33 Euro für den Arbeitnehmer der Arbeitgeber auf eine Summe von 2257,11€ monatlich und das musst erst einmal erwirtschaftet werden. Besteht dann noch der Anspruch auf faire Bezahlung, so summieren sich die Personalkosten, womit wir wieder bei dem Businessplan wären. Ideal wäre also, bei der Gründung bereits darauf zu achten, dass es einen Kompetenzenmmix gibt, der alle Bereiche des späteren Wirkungsfeldes abdeckt.
Drittens: Wenn Menschen sich gut verstehen, ist das Bedürfnis groß, sich auch im beruflichen Leben gemeinsam einem Projekt zu widmen. Gerne dann noch mit Zusammenleben in einer Gemeinschaft und der Ausübung gemeinsamer Hobbys. Das kann funktionieren, aber ich schätze die Zahl der Gruppen, bei denen das reibungslos funktioniert als klein an. Auch die Gruppengröße musst klein sein: Zwei Personen, vielleicht. Vier Personen, wenn diese sehr unterschiedlich sind, zwischen privat und geschäftlich unterscheiden können (wenn zum Beispiel Familie und Kinder hinzukommen), sich ergänzen und keine Neigung zu Psychospielchen haben. Schlüssel für den Erfolg ist hier tatsächlich die Distanz, wie sie sich in Rechtsanwaltssozietäten findet, wo Rechtsanwälte zusammenarbeiten, die in ihrer Ausbildung gelernt haben, dass Gefühle im Rechtsbereich keine Rolle zu spielen haben. Das ist nicht selbstverständlich. Vielleicht hat der eine oder andere Erfahrungen mit Wohngemeinschaften, in denen sich Freunde und Freundinnen zusammenschlossen, alles gemeinsam machen wollten, jeden Mittwoch Wohngemeinschaftssitzung hatten, wo alles – vom Putzplan bis zu den Verhaltensweisen in der Gruppe – besprochen wurde, und die sich nach ein, zwei Jahren nur noch schriftlich verständigten, weil sie heillos zerstritten waren und sich privat einfach nur noch hassten. Wieviel einfacher hatte es Wohngemeinschaften, die klar zwischen privat und wohnen trennten, sich nur bei ihren Freunden beschwerten und Konflikte durch die Anstellung einer Putzfrau lösten. Basisdemokratie ist eben eine schwierige Sache.
Konflikte sind urmenschlich und das liegt unter anderem daran, dass es schwer auszuhalten ist, wenn andere Menschen Dinge anders machen, als man selbst und man überzeugt ist, dass diese Vorgehensweise falsch ist. Selbst wenn die Handlungen anderer wirklich falsch sind und existenzgefährdend sind, bedeutet eine Intervention letztlich, dass man die Person in ihrer Kompetenz angreift und nicht jeder Betroffene hat die Souveränität, Kritik als sachlich zu empfinden und die eigenen Entscheidungen auf den Prüfstand zu stellen. So kommt es in der Folge zu mehr oder weniger offenen Machtspielchen, Zickereien und mehr oder weniger unterschwelligen Aggressionen, also der ganzen Palette an Menscheleien, die letztlich die Zusammenarbeit und die Arbeitsfähigkeit von Kooperativen gefährden. Das birgt die Gefahr, dass auch ein basisdemokratisches Abstimmen über die Ausrichtung oder die Preispolitik der Genossenschaft trotz aller Lippenbekenntnisse zu Demokratie und Transparenz immer mit der Niederlage einzelner Gruppen verbunden ist, die vielleicht gerne x oder y gemacht hätten oder x oder y bevorzugt hätten. Daraus entstehende narzistische Kränkungen sind möglich und unangenehm. Viele Dorfgenossenschaften zeigen: Wenn sich Bürger unterschiedlichster Charaktere zusammenschließen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, nämlich wieder eine Dorfeinkaufsmöglichkeit zu haben, kann das wunderbar funktionieren: Jemand hat den Hut auf und die anderen helfen und haben Spaß dabei. Wenn aber alle mitdiskutieren wollen und alle alles machen wollen, ist äußerste Vorsicht angebracht. Menschen ändern sich, Gefühle sind starke Konflikttreiber und manch einer hat einen Charakter, den man ihm nicht ansieht, und den er selbst vielleicht bei sich nicht vermutet hätte. Wenn mehr Energie in das Funktionieren der Beziehungen gesteckt werden muss, als in das eigentliche genossenschaftliche Projekt, ist eine Genossenschaft gescheitert.
FAZIT. Abhängig von der Größe und der Genossenschaftsart sollten in jeder Genossenschaft die wichtigsten Funktionen wie Marketing / Vertrieb und Finanzen / Controlling kompetent besetzt werden. Dies geschieht entweder auf Vorstandsebene oder als eigenständige Arbeits- oder Projektgruppe. Die Mitwirkung der Mitglieder ist außerordentlich erwünscht. Die Mitglieder sollten sich je nach Interessenlage und Kompetenz unbedingt mit einbringen können. Der Erfolg einer Genossenschaften geht es immer von den Beteiligten aus.
Dr.A.Neumann igenos e.V.
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Super Beitrag