Genossenschaftsfolklore hat nichts mit Kulturgenossenschaften zu tun. Nein, es geht hier um die in peinlichen Festtagsreden auf den Mitgliederversammlungen. Es geht um die vielbeschworenen Unternehmensphilosophie, die genossenschaftliche Grundwerte betont und genossenschaftliche Solidarität fordert, ganz im Sinne von Raiffeisen. Und genau daran mangelt es in der täglichen Praxis. Es fehlt an sichtbarer „Genossenschaftlichkeit“, gemeint ist die erlebbarer Umsetzung des Genossenschaftsgedankens. Es fehlt an Transparenz. Es geht um hohe Rücklagen, die zu Lasten der Mitgliederförderung angehäuft wurden und um den Missbrauch der Rechtsform Genossenschaft und die Enteignung der Genossenschaftsmitglieder. Die BVR Werbung „Morgen kann kommen“ bezieht sich bestenfalls auf die Pensionszusagen der Genossenschaftsvorstände, denn die kleinen, regionalen Genossenschaftsbanken haben schon lange keine Zukunft mehr.
Zum Teil geht die unglaubwürdige Unternehmenskultur darauf zurück, dass in die Führungsebene größerer Genossenschaften, zu einem erheblichen Teil auch externe Führungskräfte berufen werden, die mit den Besonderheiten der Rechtsform Genossenschaft nicht vertraut sind. Das gilt auch für Spitzenpositionen in den Verbänden, die auch schon mal große Unternehmensberatungen beauftragen um die Prozessabläufe zu optimieren. Der BVR (Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken) hat dies mit seiner Aufforderung zur Mitgliederselektion bereits vorgemacht. Mitglieder wurden nach Risiko- und Ertragsgesichtpunkten sortiert, bzw. aussortiert. Bei einer Genossenschaft geht es aber nicht um Profitmaximierung, sondern um die Mitglieder- oder genauer die Förderung der Mitglieder. Genossenschaftlichkeit ist auch dort nicht zu erkennen.
Mitunter haben selbst die Genossenschaftsorgane ein unklares Vorstellungsbild von einer Genossenschaft. Im Extremfall sehen sie im Gemeinschaftsunternehmen der Mitglieder, für dessen Entwicklung und Erfolg sie Verantwortung tragen, ein Unternehmen wie jedes andere. Als Vorstand einer Genossenschaftsbank ist ihnen dann der Teilaspekt „Bank“ deutlich näher als die Rechtsform „Genossenschaft“.
Es folgt eine Abkopplung der Bank- und Vorstandsinteressen von denen der Mitglieder. Sehr deutlich zeigt sich die Entwicklung bei den Genossenschaftsbanken. Sie werden von der BaFin, der Finanzaufsicht, kontrolliert. Die Prüfungsverbände sind nun diejenigen, die über Fusionen entscheiden. Eine Aufklärung und Einbindung der Genossenschaftsmitglieder, die Eigentümer ihrer Genossenschaft sind, wird im übergeordneten Wirtschaftsinteresse verhindert. Regionale Lösungen, Wertausgleich der Anteile oder der Wechsel der Rechtsform im Sinne der Mitgliederförderung, werden noch nicht einmal diskutiert und Vorstände, welche die Mitgliederinteressen vertreten, geraten in Loyalitätskonflikte. Die Mitgliederförderung besteht nur auf dem Papier. Die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft wird folglich zu einer Formalität, die notwendig ist, um die Vorteile der Rechtsform zu wahren.
Für eine Verankerung im genossenschaftlichen Bewusstsein in der Unternehmenskultur ist es dringend notwendig, dass sich die Führungskräfte mit der Genossenschaftsidee, den Besonderheiten einer Genossenschaft und den Werten einer Genossenschaft vertraut machen.
Eine genossenschaftliche Schulung der Vorstandsmitglieder und Beschäftigten wurde in der Vergangenheit versäumt. Wofür die Genossenschaft steht, was ihr Auftrag ist und was sie von anderen Organisationen unterscheidet ist häufig gar nicht bekannt. Diese laut igenos e.V. gesteuerte Fehlentwicklung führt zu einem Missbrauch der Rechtsform Genossenschaft.
Eine weitere Verfremdungsursache ist im externen Größenwachstum durch Fusion zu sehen, mit der vielmals eine für unumgänglich gehaltene Anpassung an die Branchenentwicklung erreicht werden soll. Bei mehreren Fusionswellen unter den Genossenschaftsbanken standen die Eigeninteressen der Genossenschaftsorganisation, also deren strategische Ziele, im Vordergrund. Es ging um Marktanteile, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Marktmacht sowie um die Erzielung von hohen Rediten, deren Mittel-Zweck-Beziehung zum Förderauftrag jedoch nicht erkennbar wurde.
Dass die Schaffung von Groß-Genossenschaften mit räumlich ausgedehntem Geschäftsgebiet, größerem Kundenkreis und Geschäftsvolumen nicht zwingend zu einer Steigerung der Fördereffizienz führt, zeigen Erfahrungen in der Praxis. Im Gegenteil, es geht weder um die Mitglieder noch um die Förderung der Mitglieder. Es geht um die Umsetzung einer Verbandsstrategie. Dazu gehört auch die Akkumulation von inzwischen herrenlosen Genossenschaftskapital.
Die fusionsbedingte, sprunghafte Größenveränderungen wirken sich zudem vielfach negativ auf die genossenschaftsinternen Strukturen aus, d. h. auf den Gruppenzusammenhalt, den Kontakt zwischen den Mitgliedern, deren Beteiligung an Willensbildung und Kontrolle sowie die Stabilität der Geschäftsbeziehung der Mitglieder zum Genossenschaftsunternehmen. Verschmelzungen bergen die Gefahr einer Anonymisierung dieser Beziehungsfelder und der Entfremdung in sich. Genossenschaftlichkeit war gestern. Wie weit lässt sich die Rechtsform Genossenschaft noch dehnen? Wann wird die missbräuchliche Nutzung der Rechtsform Genossenschaft endlich beendet?
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