Rom, 22.April 2020 (geno). Bürgergenossenschaften in Italien. „Je mehr Beispiele eines solidarischen, eines nachhaltigen Wirtschaftens in der Region Wirklichkeit werden lassen, desto zukunftsfähiger wird unsere Region und desto mehr zeigen wir, dass der nötige Wandel möglich ist“. Das erklärt Armin Bernhard, Bildungswissenschaftler und Vorstandsvorsitzender der am 29. Februar 2016 gegründeten Bürgergenossenschaft Obervinschgau. Sie ist die erste ihrer Art in Südtirol und hat ihren Sitz in Mals. „Wir bauen auf die Menschen und Ressourcen. Wir stärken die lokalen Kreisläufe und den sozialen Zusammenhalt“. Es geht um „eine Genossenschaft ohne Gewinnabsicht im klassischen Sinn“., heißt es in ihrer Internet-Präsentation www.da.bz.it wegweisend. Ziel sei eine „ökologisch und ökonomisch nachhaltige Entwicklung des Obervinschgau, der Region im Dreiländereck Italien-Österreich-Schweiz, die als Kornkammer von Tirol gilt.
Im Mittelpunkt der Bürgergenossenschaften in Italien steht eine Gemeinschaft, die aufgrund ihrer benachteiligten Lage, Strukturschwäche oder Abwanderungsgefahr auf die genossenschaftliche Initiative der Einwohner angewiesen ist, um weiterhin einen lebenswerten Raum darstellen zu können. Bürgergenossenschaften entstehen vielfach in ländlichen Räumen oder entlegenen Gemeinden, wo sie bürgernahe Dienstleistungen erbringen, die von einer säumigen oder verarmten Lokalverwaltung nicht bereitgestellt werden. Für diese neuartigen genossenschaftlichen Vorhaben ist die Bezeichnung „cooperativa di comunita“ – Genossenschaft der Gemeinschaft – als kollektive Zielgruppe geprägt worden. Sie ähneln deutschen Gemeindegenossenschaften oder Ende der 90er Jahre entstandenen Stadtteilgenossenschaften. Die italienischen „cooperative di comunita“ zeigen, wie historisch gewachsene und verfassungsrechtlich anerkannte soziale Aufgaben der Genossenschaftsbewegung innovative Unternehmensmodelle und Betriebsformen hervorbringen kann, unternehmerische mit sozialen Zielen verbinden und auch der Definition von erwerbswirtschaftlichen Produktivgenossenschaften entsprechen. Neben der reinen Mitgliederförderung verwirklichen die Sozialgenossenschaften den für Italien typischen zweiten Förderauftrag, indem sie ihre Tätigkeit auch auf benachteiligte Personen im Umfeld von Genossenschaften ausrichten -unabhängig davon, ob diese zur Mitgliederbasis gehören oder nicht. In der nunmehrigen ganz aktuellen Innovationswelle dehnt die italienische Genossenschaftsbewegung diesen zweiten sozialen Förderauftrag zusätzlich auf Nahversorgung, Umwelt, Infrastruktur und sozialen Zusammenhalt aus.
Für das Phänomen „cooperativa di comunita“ gibt es bislang keine zentralstaatliche Gesetzesregelung. Das belegt, dass Italiens Genossenschaftsbewegung sich schneller als die Administration in Rom auf neue wirtschaftliche und soziale Bedürfnisse einstellt. Dagegen sind die Regionalverwaltungen flexibler. Sie haben entsprechende Regionalgesetze verabschiedet. Beispielsweise in Ligurien, in den Abruzzen und in Basilicata. So betreiben süditalienische Bürgergenossenschaften auf Grundlage solcher Regelungen experimentelle Landwirtschaft, Wasserversorgung und Abfallbeseitigung. Auf dieser Basis verwandelte sich das Dorf Melpignano in Apulien, wo es seit 2014 ein solches Regionalgesetz gibt, in eine Photovoltaik-Gemeinde. Die Ortschaft liegt in der historischen Region Grecia Salentina. Das ist eine linguistische Insel, auf der eine alte Sprache griechischen Ursprungs – das Griko – gesprochen wird. ++ (bg/mgn/22.04.20 – 061)
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