Im Mittelalter herrschte Überfluss an Genossenschaften – Luther auf Distanz zu Bruderschaften

Heidelberg/Wittenberg, 31. Oktober 2017 (geno). Die mittelalterliche Welt war eine Welt voller genossenschaftlicher Zusammenschlüsse, die bei schwach ausgebildeten staatlichen Strukturen auf der vertikalen Ebene Hilfe bot. Das stellt der Pfarrer, Historiker und Raiffeisen-Experte Prof. Michael Klein von der Universität Heidelberg in einer sozialethischen Schriftenreihe zum 500. Jubiläum der Reformation unter dem Titel „Reformation heute“ fest. Rechne man auch die Orden, deren weltliche Appendixe und schließlich die religiösen Laiengemeinschaften, wie die Brüder vom Gemeinsamen Leben, die Beginen und Begharden hinzu, „entsteht ein zutiefst genossenschaftlich durchwirktes Bild insbesondere der spätmittelalterlichen Gesellschaft, zu der eben auch die Bruderschaften gehören. Tatsächlich habe sich die Verbindlichkeit der Bruderschaften im Blick auf die Lebensvollzüge ihrer Mitglieder teilweise auch wieder gelockert. Ursache dessen sei gewesen, dass es zunehmend möglich wurde, Mitglied in mehreren Vereinigungen zu sein. Als Beispiel nennt Klein den kursächsischen Kammerherrn Degenhart Pfeffinger, der es auf eine Mitgliedschaft in mindestens 43 Bruderschaften brachte. „Offensichtlich konnte sich eine solche Zugehörigkeit nur auf die Ausrichtung von und die Teilhabe an gesellschaftlichen Ereignissen, insbesondere den öffentlichen Festmählern, beschränken. Ein Mißstand, den Luther dann später heftig anprangern sollte“, präzisierte der Kirchenhistoriker. 

Klein weist auf ein Phänomen dieser bruderschaftlichen Zusammenschlüsse hin, das in der Kreditpraxis bestand. Vielfach sei belegt, dass die Mitglieder der Bruderschaften aus der Kasse ihrer Vereinigungen Darlehen zu günstigen Bedingungen erhielten. Ein besonderer Apekt komme hinzu: da die Bruderschaften nach eigenem Selbstverständnis spirituellen Charakter hatten, war ein genossenschaftlicher Gemeindeaufbau konkret geworden und bewährte sich unzählige Male. Später hieß es, bei den Genossenschaften münde ein alter sozialphilosophischer Gegensatz zwischen Staat und Gesamtgesellschaft in dem Versuch, möglichst viel Staat durch „mehr“ oder „bessere“ Gesellschaft zu ersetzen. Nach dieser Sichtweise wäre das der Anfang des Konflikts, in dem „der Staat“ versuchte, den Genossenschaften möglichst viele Möglichkeiten zu entreißen. Dadurch gerieten genossenschaftliche Zusammenschlüsse immer stärker unter repressiven staatlichen Druck, weil ihre dezentral, graswurzelhaft organisierten Strukturen durch immer mehr Staat überwunden werden sollten. Nach Ansicht des Heidelberger Wissenschaftlers schwächte der Dauerkonflikt zwischen genossenschaftlich-horizontaler Struktur und behördlich-vertikaler Organisation das Genossenschaftswesen ganz entscheidend. „Die Reformation sollte daran einen entscheidenden Anteil haben“, urteilt Klein und erläutert weiter: „Auf reformatorischer Seite stießen die genossenschaftlichen Bruderschaften auf vehemente Ablehnung. Luther hatte diese Einrichtungen spätestens mit seinem Aufenthalt im Erfurter Augustiner-Eremiten-Kloster kennengelernt, da drei Bruderschaften hier ihr geistliches Zentrum hatten.“ Luther habe die Bruderschaften einer so ätzenden Kritik unterzogen, dass sie fortan im evangelischen Raum delegitimiert waren. ++ (fr/mgn/31.10.17 – 217)

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