Dessau/Lingenau, 26. September 2019 (geno). In Berlin gibt es derzeit rund 900 Genossenschaften. Damit ist die Bundeshauptstadt die Region Deutschlands mit der höchsten Genossenschaftsdichte. Das stellte Dirk Schommert, Vorstand der Deutschen Vermögenssicherung Genossenschaft eG (DVSG) am Donnerstag in Lingenau bei Dessau auf einer Seminar-Konferenz des Bundesverbandes der Cooperations- und Genossenschaftswirtschaft (MMW-coopgo) fest. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 8.500 Genossenschaften aller Couleur. Das ist gegenüber anderen europäischen Länder eine sehr geringe Quote. Nimmt man beispielsweise die Verhältnisse in der Schweiz zum Maßstab, müsste es in Deutschland 95.000 Genossenschaften geben.
Für die schwache, geradazu stagnierende und deshalb besorgniserregende Entwicklung des deutschen Genossenschaftswesens spricht der Tatbestand, dass sich im Jubiläumsjahr des Genossenschaftspioniers Friedrich Wilhelm Raiffeisen 2018 die Zahl der deutschen Kooperativen lediglich um drei vermehrt hat. Auf diesen inakzeptablen Zustand in Deutschland, dessen nationale UNESCO-Kommission vor wenigen Jahren die „Genossenschaftsidee“ mit großer internationaler Unterstützung auf die offizielle Liste des immateriellen Weltkulturerbes hievte, wies Gerd K. Schaumann hin.
Der Vorsitzende des Spitzenverbandes des Genossenschaftswesens schilderte und erläuterte die traurigen Umstände auf fast allen gesellschaftlichen Ebenen, denen deutsche Genossenschaften ausgeliefert sind. So stünden Steuerverwaltungen und Aufsichtsbehörden noch ganz am Anfang. Bei den zuständigen Landesbehörden grassiere sogar große Ratlosigkeit. Das Institut der Wirtschaftsprüfer antworte auf substantielle Anfragen beispielsweise nach dem Förderzweck einer Wohnungsbaugenossenschaft als bisher oft undefinierte Größe vielsagend mit jahrelangem Schweigen. Bei hartnäckigem Nachhaken sei dem Vorsitzenden der Qualitätsprüfungskommission nur die Antwort „Wir arbeiten daran“ zu entlocken gewesen. „Standards sind wild und werden immer wilder“, kritisierte der tief mit der Materie vertraute Schaumann. Um aus der Sackgasse herauszukommen und die genossenschaftliche Mitgliederförderung auf einen klaren Kurs zu bringen, empfiehlt er die Installation des Ausbildungs- und Berufsbildes „Genossenschaftsberater“. Solche Experten und – darüber hinaus – Förderberater müssten flächendeckend in Deutschlands Genossenschaftswesen agieren und erreichbar sein. Ratsam sei ein Aktionsradius von 100 Kilometern. Darüberhinaus sei es notwendig, die Misere im Bereich Steuerberatung zu beheben.
Seminarteilnehmer hatten zu diesem Thema offenbart, dass „blankes Unwissen“ herrscht. Es gebe in Deutschland rund 72.000 Steuerberater und etwa 30.000 Rechtsanwälte, die auch steuerberatend tätig sind. Unter diesen insgesamt rund 100.000 Mandaten wisse nur jede zehnte Steuerfachkaft von der Existenz genossenschaftlicher Besonderheiten. „Genossenschaften sind kein prüfungsrelevanter Stoff für Steuerberater“, lautet das eindeutige Urteil. Ausnahmen gebe es in den Bundesländern Sachsen und Hamburg, wo allerdings nur Randkenntnisse vermittelt und geprüft werden.
Vor diesem Hintergrund ist der MMW-CoopGo Bundesverband auch Initiator der Ausbildungsoffensive: Fachanwalt für das Genossenschafts- und Vereinswesen. Ein entsprechender Antrag an die Anwaltskammer wird derzeit vom MMW-CoopGo vorbereitet.
Das Konzept wurde von der Berliner Initiative „Genossenschaft von unten“ angeregt und von igenos, der bundesweit tätigen Interessenvertretung der Genossenschaftsmitglieder, weiterentwickelt.
++ (mf/mgn/26.09.19 – 161)
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