Münster, 2. September 2019 (geno). Die Online-Wahl als Alternative für Genossenschaften! Das Demokratieprinzip in der heutigen Genossenschaftslandschaft steht schnell zur Disposition. Grund dafür ist, dass Entscheidungsstrukturen bei größeren Genossenschaften häufig denen kapitalorientierter Mitbewerber angeglichen werden. Das stellen die Genossenschaftswissenschaftler Herbert Klemisch und Moritz Boddenberg vom Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster in „Beiträgen zur sozial-ökologischen Transformationsforschung“ fest.
In der Realität schrumpfe die demokratische Stellung der Mitglieder rasch zu einer symbolischen Möglichkeit, den vom Vorstand vorgeschlagenen Geschäftsbericht anzunehmen. Bereits im Jahr 1898 habe Franz Oppenheimer daraus die Existenz eines „ehernen Transformationsgesetzes der Genossenschaften“ geschlussfolgert. Danach scheitern Genossenschaften oder verwandeln sich in kapitalistische Unternehmen, die sich sukzessive von den genossenschaftlichen Prinzipien entfernen. „Scheint die Vermutung für große Genossenschaften naheliegend, kann insbesondere in kleineren Genossenschaften jedoch nach wie vor eine grundsätzliche Schwächung der herrschaftlichen Grundform durch genossenschaftliche Strukturen beobachtet werden, da Herrschaftsfaktoren durch das Demokratieprinzip zumindest unter Kontrolle gehalten werden können“. So werde wenigstens verhindert, dass sich Mitglieder kraft ihrer wirtschaftlichen Potenz über die Interessen anderer Mitglieder stellen. Feindliche Übernahmen kapitalkräftiger Akteure sind ausgeschlossen. Kontroll- und Leitungsbefugnisse müssten sich stets an den demokratischen Entscheidungen der Mitglieder orientieren.
Die Autoren halten diese Erkenntnisse für den zentralen Anknüpfungspunkt zum Diskurs der Nachhaltigkeitsforschung. Seit dem UN-Weltgipfel von Rio de Janeiro 1992 laute ein zentrales Ziel der Nachhaltigkeitsdebatte, die Partizipation der Bürger in politischen Entscheidungsprozessen zu stärken. So konstatiere der Abschlussbericht der UN-Konferenz in seinem 23. Kapitel, Partizpation zu einem normativen Gerechtigkeitsanspruch eines sozialen Nachhaltigkeitsverständnisses zu erheben. Dies könne durch den Demokratie-Grundsatz der Genossenschaften verwirklicht werden.
„Seit der Novellierung des deutschen Genossenschaftsgesetzes 2006 können alle Genossenschaften Online-Wahlen durchführen. Mittlerweile existiert dafür auch ein geeignetes, in der Praxis bereits bewährtes Programm. Das Online-Wahlsystem Polyas gewährleistet, dass die Ergebnisse der Online-Wahl sicher und rechtsverbindlich sind“, bestätigen Klemisch und Boddenberg. Die Hamburger Genossenschaft Hostsharing eG führe ihre Generalversammlung als virtuelles Mitgliedertreffen online durch. Auf diese Weise werde eine ausführliche Diskussion und eine Abstimmung durch eine hohe Anzahl von Mitgliedern ermöglicht.
Der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften (ZdK) , der auch die Gesetzesinitiative von 2006 in den Bundestag eingebracht hat, unterstützt die Idee der virtuellen Mitgliederversammlung. Die Online-Wahl wird in den ZdK Mustersatzung oder den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) für neue Genossenschaften als Möglichkeit ausdrücklich benannt. Inzwischen haben beispielsweise die Energie-Genossenschaft Kaufungen eG, die Friedensfördernde Energie-Genossenschaft Herford eG und die Bürger-Energiegenossenschaft Ehingen eG. die Online-Wahl übernommen. ++ (02.09.19 – 144)
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