Pigue, 6. Oktober 2017 (geno). In Argentinien gibt es 367 Belegschaftsbetriebe mit rund 16.000 Beschäftgten. Das weist die jüngste Studie der Universität Buenos Aires aus. Etwa die Hälfte gehört zu den Branchen Metallverarbeitung, Nahrungsmittel, Druckgewerbe und Textil. Wie die Tageszeitung „neues deutschland“ (nd) am Freitag weiter berichtet, ist die Überlebensfähgkeit dieser selbstverwalteten Betriebe erstaunlich. Seit 2001 hätten nur 43 ihre Tore wieder schließen müssen. In der Regel sei die Übernahme geschlossener Unternehmen durch die auf die Straße gesetzte Belegschaft eine Reaktion aus der schieren Not heraus. Dem folge ein jahrelanges juristisches und politisches Tauziehen verbunden mit stetigem Ringen um die Auftrechterhaltung der Fabrik. Da meist die Produktionsarbeiter den Betrieb übernehmen, ist die Fortführung der Warenfertigung keine große Hürde. Dagegen sind Verwaltung und Buchhaltung problematischer. Zudem geht es um die Eröffnung längerfristiger Perspektiven.
Als Beispiel für den Übergang eines Unternehmens aus privater Hand in die Verantwortung der Arbeiterschaft wird die Geschichte der Cooperativa de Trabajo Textiles Pigue. Ohne Vorwarnung hatten die Eigentümer über Nacht ihre Textilfabrik stillgelegt. Die Belegschaft blockierte daraufhin den Abtransport der Nähmaschinen und Färbereiausrüstungen. Die Solidarität der Einwohner trat hinzu, als die Polizei das Betriebsgelände räumen wollte. Nach langen Auseinandersetzungen wurde die 2004 gegründete Kooperative der Arbeiter zum Eigentümer. Derzeit sind dort 140 Mitarbeiter tätig. Zusätzliche Schwierigkeiten bereitete den Selbstverwaltern die völlige Marktöffnung für Importe aus China und der Wegfall staatlicher Subventionen für den Energieverbrauch.
Die hohen Energiepreise belasten insbesondere auch die Keramikindustrie. Auf diesem Sektor ist die Cooperativa FaSinPat (Fabrica Sin Patrones – Fabrik ohne Chefs) Seit 2009 ist die ehemalige Keramikfabrik Zanon Eigentum der Kooperative. Anfang 2016 bezahlte sie noch alle zwei Monate 1,5 Millionen Peso für Gas und 400.000 Peso für Strom. Jetzt sind es acht Millionen Peso für Gas und 1,5 Millionen Peso für Strom.
Diese und andere Probleme sowie über die Zukunft diskutierten kürzlich in Pigue 400 Teilnehmer des „6. Internationalen Treffens der Arbeitsökonomie“. Sie kamen aus 23 Ländern. An dieser Debatte über solidarische Ökonomie nahm auch der ehemalige Gewerkschafter der IG Metall Heinz Bierbaum teil. Er äußerte seine Eindrücke von dem Kongress in einem nd-Interview. Die Stärke der Konferenz habe in dem Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Bereichen gelegen. Viele der Selbstverwalter-Initiativen fühlten sich von den Gewerkschaften nicht vertreten und versuchten eigene Zusammenschlüsse zu entwickeln. Er nehme aus Argentinien den Impuls mit nach Deutschland, die Demokratisierung von Betriebsabläufen und Unternehmenspolitik in den Mittelpunkt zu stellen. Das bisher unterbelichtete Verhältnis zwischen Gewerkschaften und betrieblichen Initiativen müsse mehr thematisiert werden. ++ (sv/mgn/06.10.17 – 200)
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