Donaumonarchie prägt Tschechiens Genossenschaftsbewegung

Prag, 23. Juli 2019 (geno) Die Donaumonarchie prägt Tschechiens Genossenschaftsbewegung. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten ging es aufwärts. Die Genossenschaften waren eine wichtige Säule des gesellschaftlichen Lebens und der sozialen Sphäre. Ihre Geschichte reicht bis ins Jahr 1847, als in Prag der sogenannte Lebensmittel- und Sparverein gegründet wurde. Bald folgten in zahlreichen Städten Böhmens und Mährens weitere solche Verbände, die jedoch häufig wegen Mangel an Erfahrung wieder aufgaben. Dazu schreibt der tschechische Publizist und Schriftsteller Pavel Hlavaty: „Es wurde versucht, Arbeiter in Fördervereinen zu organisieren. Ihre Mitglieder sammelten einen Beitrag und nutzten diesen für die Unterstützung derjenigen, die in Not gerieten, vom Arbeitgeber gekündigt oder ungerecht behandelt wurden. Je nach Lage verliehen die Vereine ihren Mitgliedern Geld zu günstigen Konditionen. Auf dem Land haben sich auf dieser Basis vor allem Landwirte organisiert, was auch den Ärmeren ermöglichte, Landwirtschaftsmaschinen zu kaufen. Wichtig war, dass diese Initativen von unten her als Hilfe zur Selbsthilfe entstanden sind.“

Nach dem Vorbild der deutschen Raiffeisenkassen entstanden ab 1860 in Böhmen vergleichbare Institute. Sie hießen im Volksmund „kampelicky“.Das geht auf den Namen des Schriftstellers und Kulturförderers Frantisek Kampelik zurück, der sich für ihre Gründung einsetzte. Ihre größte Popularität fanden sie um die Wende zum 20. Jahrhundert, berichtet Radio Prag in einem Beitrag. 1904 gründete Frantisek Modracek den Ersten Arbeiter Konsumverein in Prag. Zwei Jahre später war der Verein in der ganzen Stadt aktiv. 1913 gab es rund 5.000 solcher Genossenschaften in Böhmen. Anfang der 1930er Jahre existierten noch 1.500 Genossenschaften mit fast einer Million Mitglieder. In der nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Tschechoslowakei wurden fast 5.000 Läden von Genossenschaften betrieben.

Die genossenschaftliche Erfolgsentwicklung endete 1938 mit dem Abschluss des Münchner Abkommens Deutschland-Großbritannien-Frankreich-Italien, dem mit diesem Diktat vereinbarten Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich und der 1939 folgenden Besetzung der „Rest-Tschechei“ durch die Deutsche Wehrmacht. Mit dem Eindringen der Nazis in die Administration übernahmen deren Verwalter die Genossenschaften und unterwarfen sie der Kriegswirtschaft. Über diese Phase urteilt Hlavaty: „Die Nazis wussten ganz genau, dass die relative Autonomie dieser Wirtschaftssubjekte bedrohlich für sie war. Die Genossen setzten nämlich nicht ihre Interessen um, sondern gesellschaftlich nützliche Ziele – und das steht im Widerspruch zu jedem totalitären Gedanken. Die Kommunisten wagten es später nicht, die Genossenschaften direkt zu liquidieren. Sie geben dem Begriff aber eine andere Bedeutung, was vor allem für die Landwirtschaft galt. Die Agrar-Genossenschaften wurden damals nach dem Prinzip des sowjetischen Kolchos umorganisiert. Man zwang die Bauern, in staatlich gelenkte Genossenschaften einzutreten. Wer sich dagegen stellte, der endete im Gefängnis und sein Gut wurde enteignet. Das war offener Hohn gegenüber der ursprünglichen Idee von Kampelik, Modracek und anderen. Auf ähnliche Weise haben die Kommunisten auch die Wohnungsgenossenschaften vernichtet.“

Die Kollektivwirtschaft hat in Tschechien keinen guten Ruf, so Hlavaty. Viele Menschen hätten noch im Gedächtnis, wie sich das kommunistische Regime diesen Begriff auf die Fahne schrieb und die Wirtschaft dabei ruinierte. Heutzutage würden sich nur noch Imker und andere solcher Interessenverbände genossenschaftlich organisieren. ++ (ts/mgn/23.07.19 – 130)

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