Britische Genossenschaftspartei gewann vier Wahlkreise

London/Berlin, 16. Juli 2019 (geno). Mit der vor 175 Jahren begonnenen Tätigkeit der Redlichen Pioniere von Rochdale ging in der britischen Gesellschaft die Sonne der Genossenschaften auf. Trotz zahlreicher Finsternisse leuchten die kooperativen Sonnenstrahlen bis in die Gegenwart. Ursachen dafür nennt Genossenschaftshistoriker Wilhelm Kaltenborn in der jüngsten Ausgabe des Mediums „GenoSplitter“: Tatkraft, Energie und ein hohes Maß an Behutsamkeit beim Betreten neuer Pfade. Zunächst einmal sei der kurz vor Weihnnachten des Jahres 1844 in der Toad Lane der englischen Ortschaft Rochdale nur einmal wöchentlich geöffnet gewesen. Aber bereits Anfang 1845 habe das Geschäft allabendlich für seine Mitglieder bereit gestanden. Rasch folgten diverse Sortimentserweiterungen. Für Tee und Tabak waren besondere Lizenzen nötig. Auf Initiative des 1846 beigetretenen Abraham Greewood gehörte Fleisch zum Angebot. Es wurde eine ganze Schlachterei angeschlossen. 1847 begann David Brooks mit dem Bedrucken von Stoffen. Daraus ergab sich der Betrieb einer Schneiderei. Als weitere Produktivabteilungen kamen unter anderen eine Brot- und Kuchenbäckerei, eine Rosinenwäscherei, eine Kafferösterei und und eine Gewürzmühle in Gang. Bis 1875 wurden ein zweiter Laden und 16 Zweigstellen eröffnet. Die Mitgliederzahl expandierte entsprechend. Waren es im Gründungsjahr 1844 noch 28 Genossenschaftsmitglieder, betrugen die Mitgliederzahlen 1870 bereits 5.560 und 1880 sogar 10.613. Als Grund für den enormen Zulauf nannte die „Times“ in einem Beitrag vom 19. Dezember 1862 den geldwerten Vorteil der Mitglieder bei den Rochdalern von jährlich 18 Wochenlöhnen.

Für die vom Owenitischen Geist erfüllten Pioniere waren Produktion und Konsum zwei Seiten einer genossenschaftlichen Medaille. Es war deshalb sehr konsequent, dass sie 1850 in die Produktion gingen – und zwar mit einer Mühle“, schreibt Kaltenborn. Dazu gründeten 20 Rochdaler eine Mühlengenossenschaft. Im Übrigen habe es bereits Abkommen mit einer ganzen Reihe von Genossenschaften in Lancashire und Yorkshire zum Großeinkauf gegeben. Dazu wurde schließlich 1863 eine eigenständige Gesellschaft – die „North of England Co-operative Wholesale Industrial and Providente Society“ – gegründet. Daran waren nicht nur die Genossenschaften des Nordens beteiligt, sondern auch Delegierte aus Südengland und London. Die erste Generalversammlung der Gesellschaft fand am 10. Dezember 1863 in Manchester statt. Präsident wurde Abraham Greenwood. Später entfaltete das Unternehmen über ganz Großbritannien Aktivitäten. Die Bildungsarbeit der Pioniere von Rochdale unterzieht Kaltenborn einer eingehenden Analyse. Im Zentrum stand eine Bibliothek mit einem Bestand von 5.000 Büchern im Jahr 1862 sowie 14 Tageszeitungen und 32 Zeitschriften. Angesichts dessen kam der Unterhaus-Abgeordnete Richard Cobden zu dem Schluss: „Diese Genossenschaften haben Bildungseinrichtungen, welche schwerlich durch die eines Londoner Klubs übertroffen werden.

Als weiteren Beweis für die gesellschaftliche Akzeptanz des Genossenschaftswesens in Großbritannien nennt Kaltenborn dessen politisches Engagement. Es sei eine eigene Genossenschaftspartei entstanden, die sich 1922 mit eigenen Kandidaten an Unterhaus-Wahlen beteiligte. Von elf Wahlkreisen gewann sie vier. ++ (hi/mgn/16.07.19 – 126)

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