Berlin, 6. November 2018 (geno). Wichtige, durch den in Deutschland in den vergangenen vier Jahrzehnten vom Neoliberalismus eingetrübte und sogar außer Kraft gesetzte Genossenschaftsrechte müssen reaktiviert werden. Das forderten die Mitglieder der Initiative „Genossenschaft von unten“ am Dienstagabend in Berlin auf einer Veranstaltung zum zehnjährigen Bestehen des Zusammenschlusses von Wohnungsgenossen der Bundeshauptstadt. Der Festakt fand an einem symbolträchtigen Ort statt, nämlich im voll besetzten Louise-Schröder-Saal des Schöneberger Rathauses in Berlin. Seit dem Jahr 1950 ertönt vom Rathausturm die Glocke der Freiheit und Demokratie. Sie mahnt, auch in Gegenwart und Zukunft diesen Grundprinzipien treu zu bleiben und dafür zu kämpfen. Die Initiative „Genossenschaft von unten“ tut dies auf besondere Weise, indem sie die Wiederherstellung der innergenossenschaftlichen Demokratie in ihren kooperativen Selbsthilfe-Einrichtungen der Wohnungswirtschaft anmahnt und postuliert.
Manfred Zemter, einer der Gründungsväter der Initiative, begründete zu Beginn der musikalisch umrahmten Zusammenkunft die Notwendigkeit substantieller Veränderungen im Bereich der Wohnungsgenossenschaften. Zunächst wies er auf deren enorme gesellschaftspolitische Bedeutung hin. Gegenwärtig gibt es in Deutschland 2.000 Wohnungsgenossenschaften mit rund 2,2 Millionen Mitgliedern. Allein in Berlin existieren rund 100 Wohnungsgenossenschaften, die über elf Prozent des Wohnungsbestandes der Hauptstadt verfügen. Die 200.000 Berliner Wohnungsgenossen wissen die Vorteile zu schätzen, die eine Genossenschaft bietet. So leben sie als kollektive Eigentümer in einer Solidargemeinschaft und genießen ein Dauerwohnrecht. Sie können per Beschluss die Entwicklung der Genossenschaft mitbestimmen. Die zu zahlenden Nutzungsentgelte – häufig fälschlich als Mieten bezeichnet – sind weitgehend von der Mietpreisentwicklung auf dem privaten Wohnungsmarkt abgekoppelt.
Aber diese und andere Vorteile werden nach den Worten von Zemter beträchtlich gefährdet, eingetrübt und sinnentleert oder sogar ins Gegenteil verkehrt. So befänden Genossenschaftsvorstände alleine ohne Zutun der Mitglieder oder ihrer Vertreter über millionenschwere An- und Verkäufe von Grundstücken sowie umfangreiche Neubauten. Gleiches gelte für den Abriss preiswerter Wohnungen und deren Ersatz durch teure Neubauten, deren Mieten sich nicht selten verdoppeln. Außerdem komme es oft zu Mietpreistreiberei. Auch bei der Gründung und Auflösung von Tochtergesellschaften habe die Mitgliedschaft kein Mitspracherecht. Diese grundsätzlichen geschäftspolitischen Entscheidungen sind den einfachen Genossenschaftsmitgliedern in den Generalversammlungen oder den Vertretern auf der jährlichen Vertreterversammlung entzogen. Zemter erinnerte: „Bevor der Neoliberalismus in Wirtschaft und Politik einzog, sah das noch ganz anders aus: Das bis zum Jahr 1973 geltende Genossenschaftsrecht gestattete es der Generalversammlung bzw. der Vertreterversammlung, dem Vorstand geschäftspolitische Weisungen zu erteilen.“ Dieses Recht müsse wiederhergestellt werden. Das derzeitige alleinige Entscheidungsrecht der Vorstände führe zu einer Machtposition, die einer Autokratie nahekommt. ++ (dk/mgn/06.11.18 – 217)
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