Der sich selbst als Spitzenverband der deutschen Genossenschaftsorganisation bezeichnende Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (DGRV) entstand im Jahr 1972 aus dem Zusammenschluss der beiden damaligen genossenschaftlichen Spitzenverbände Deutscher Raiffeisenverband e.V. (alt) und Deutscher Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch) e.V. Seine Hauptaufgabe sieht der DGRV in der Förderung der Genossenschaften in Deutschland. „Wir setzen uns bei der Politik und den Behörden für genossenschaftsfreundliche Rahmenbedingungen ein: Von genossenschaftsrechtlichen Regelungen über Fragen der Rechnungslegung und Prüfung bis hin zu steuerlichen, aufsichtsrechtlichen oder energiewirtschaftlichen Themen.“

Für die Hauptaufgabe der Rechtsform Genossenschaft, jene 20 Millionen Mitglieder, die das Rückgrat ihrer Genossenschaften bilden zu fördern wie es das Gesetz vorschreibt, hat der DGRV offenbar wenig übrig, sondern scheint eine Marschrichtung zu verfolgen, welche eine Mitgliederförderung ausschließt. In Zusammenhang mit der Einleitung eines Spruchverfahrens beim Landgericht Nürnberg-Fürth zwecks Verbesserung des Umtauschverhältnisses bei Verschmelzung von Genossenschaftsbanken sah sich der DGRV genötigt, eine Erklärung herauszugeben. Bereits die dabei verwendete Aussage, dass Mitglieder von Genossenschaften nach § 73 Abs. 2 Satz 3 GenG grundsätzlich nicht an den Rücklagen und sonstigem Vermögen der Genossenschaft (einschließlich stiller Reserven) beteiligt sind, ist irreführend. Einerseits wird der Begriff „grundsätzlich“ dort nicht verwendet, andererseits trifft diese Bestimmung des Genossenschaftsgesetzes nur auf die Auseinandersetzung mit ausgeschiedenen Mitgliedern zu, auf keinen Fall jedoch auf eine Verschmelzung.

Weiter führt der DGRV aus: „So bestimmt § 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwG, dass die Geschäftsguthaben der Mitglieder der übertragenden Genossenschaft 1:1 gegen volleingezahlte Anteile an der übernehmenden Genossenschaft getauscht werden. Dies ist der Regelfall in der Praxis, für den folglich die Ermittlung eines Umtauschverhältnisses auf Grundlage einer Unternehmensbewertung nicht erforderlich ist. Flankierend zur Regelung in § 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwG kann eine Verbesserung des Umtauschverhältnisses (§ 85 UmwG) im Spruchverfahren nur verlangt werden, wenn und soweit das Geschäftsguthaben des Mitglieds in der übernehmenden Genossenschaft niedriger als das Geschäftsguthaben in der übertragenden Genossenschaft ist. Dieser Fall ist in der Praxis äußerst selten.“ Allerdings umgeht der DGRV dabei ein Urteil des Bundesgerichtshofes, der bereits im Jahr 2009 geurteilt hat, dass ein Genossenschaftsmitglied, solange es nicht ausgeschieden ist, an Vermögen und Rücklagen, also am Unternehmenswert, beteiligt ist. Und selbstverständlich ist dies auch bei einer Fusion der Fall, denn dabei scheiden Mitglieder nicht aus.

Das wiederum bedeutet, dass, durch die Beteiligung an Vermögen und Rücklagen während der Mitgliedschaft, die wahren Werte der Geschäftsguthaben der Mitglieder bei an Fusionen beteiligten Genossenschaften stets unterschiedlich Werte ausweisen. In vielen Fällen ist es bei Verschmelzungen zwischen zwei oder mehr Genossenschaftsbanken untereinander vorgekommen, dass der innere Wert der Geschäftsguthaben einer übertragenden Genossenschaft erheblich höher war, als der Wert bei der aufnehmenden Genossenschaftsbank.

Ein typisches Beispiel von vielen ist die Fusion der Raiffeisenbanken Moselkrampen eG und Zeller Land eG als übertragende Genossenschaften auf die Raiffeisenbank Eifeltor eG. Der innere Wert eines Geschäftsguthabens von z.B. nominal 100,00 € betrug bei der RB Moselkrampen das ca. 45-fache oder 4.500,00 €, bei der RB Zeller Land das ca. 22-fache oder 2.200,00 €, bei der Raiffeisenbank Eifeltor jedoch lediglich das ca. 9-fache oder 900,00 €. Nach der im Mai 2023 erfolgen Fusion, bei der sich die Raiffeisenbank Eifeltor eG in VR-Bank MEHR eG umbenannte, beträgt der Wert eines Geschäftsguthabens von 100,00 € nur noch das ca. 15-fache. Es steht außer Zweifel, dass der innere Wert der Geschäftsguthaben der ehemaligen Raiffeisenbank Moselkrampen um mehr als das 30-fache und der ehemaligen Raiffeisenbank Zeller Land eG um mehr als das 7-fache niedriger ist als vor der Fusion. Gefördert wurden bei diesen beiden Fusionen lediglich die Mitglieder der Raiffeisenbank Eifeltor eG, die Mitglieder der beiden Raiffeisenbank Moselkrampen und Zeller Land wurden hingegen massiv benachteiligt. Obwohl es im Grunde auch bei dieser Fusion stets nur um die Förderung der Mitglieder der Raiffeisenbank Moselkrampen oder der Raiffeisenbank Zeller Land gehen hätte müssen. Derartige Beispiele ließen sich massenweise aus Fusionen der Vergangenheit fortsetzen. 

Es erscheint seltsam, dass auch von einem Umtauschverhältnis zum Nominalwert von 1:1 wörtlich in § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwG nichts zu finden ist. Bei dem anschließenden Verweis auf § 85 UmwG vergisst der DGRV seine eigene Rolle zu diesen § 85 zu erwähnen. Im Kommentar zum Umwandlungsgesetz ist zu lesen, wie dieser § 85, der vorher offenbar nicht vorgesehen war, überhaupt Einzug in den Gesetzestext genommen hat: „Eine solche Ausnahme vom allgemeinen Prinzip der Nachbesserung eines unangemessenen Beteiligungsgegenwertes war im Diskussionsentwurf noch nicht vorgesehen. Die Vorschrift des § 85 findet sich erst im Referentenentwurf und geht zurück auf die Stellungnahme des DGRV vom 28. 4. 1989, wo ausgeführt wurde, daß die in §§ 14, 15 beabsichtigte Regelung für die reine eG-Verschmelzung „einen Systembruch darstellen“ würde. Das „vom Grundsatz her uneingeschränkt (geltende) Nominalwertprinzip“ würde verletzt. Darüber hinaus würden zahlreiche Genossen dazu veranlaßt, ihre Mitgliedschaft in der übernehmenden eG später aufzukündigen, wodurch die Gefahr einer erheblichen Schwächung der Eigenkapitalbasis begründet werde. Dies gelte insbesondere dann, „wenn – wie es häufig aus steuerlichen Gründen geschieht – eine vermögensstarke eG auf eine vermôgensschwache verschmolzen (werde)„. (Lutter, UmwG, 2. Aufl. 2000, § 85 Rn 7)

Werden vom DGRV und der Genossenschaftsorganisation eigentlich die Rechte der Genossenschaftsmitglieder und deren Genossenschaften noch vertreten? Der Unterschied der Rechtsform eG zu anderen Rechtsformen wie AG oder GmbH besteht darin, dass die Rechtsform eG nur einen einzigen, und zwar gesetzlich vorgeschriebenen, Auftrag hat: Die eigenen Mitglieder und im Prinzip sonst niemanden und nichts zu fördern. Auch keine Mitglieder einer fremden Genossenschaft die durch eine Verschmelzung massiv bevorzugt werden.

Dass der DGRV sich nicht für die Interessen der Genossenschaftsmitglieder einsetzt, sondern stattdessen Gesetzesvorschläge macht, die zur Benachteiligung der Mitglieder von Genossenschaften führen, lässt die Frage aufkommen, ob dieser Verband überhaupt genossenschaftliche Werte gegenüber der Politik und im Gesetzgebungsverfahren im Sinne der Genossenschaftsgedanken eines Friedrich Wilhelm Raiffeisen oder Hermann Schulze-Delitzsch vertreten kann. 

Raiffeisenbank Eifeltor, Raiffeisenbank Moselkrampen eG, Raiffeisenbank Zeller Land eG
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