Bullay, den 30.Januar 2023.(igenos-Wissenschaft) Zu den genossenschaftlichen Grundprinzipien zählt die Selbstverwaltung, die häufig auch als „demokratische Selbstverwaltung“ bezeichnet wird. Streng genommen kann dieser Begriff nur auf die Generalversammlung Anwendung finden, zu der alle Mitglieder einer Genossenschaft Zugang haben. Hingegen sollte die Vertreterversammlung, obgleich sie der Selbstverwaltung zuzurechnen ist, nicht als „demokratisch“ im eigentlichen Sinn genannt werden. Die Begriffsbildung „mittelbare Demokratie“ verschleiert den Sachverhalt. Dass in Deutschland eingeführte genossenschaftliche Führerprinzip sieht dagegen anders aus. Das GenG hat in § 27 Abs. 1 die Zuständigkeit in Angelegenheiten der Geschäftsführung den eigenverantwortlich – unternehmerisch operierenden, durchweg hauptamtlichen Geschäftsleitern übertragen. Diese Stärkung der Leitungskompetenz ist „als Begründung einer Vorstandsallmacht kritisiert worden, die zu einem unvertretbaren Übergewicht des Vorstandes im Machtbereich der eG beigetragen habe.“ Ist dem Vorstand nicht bewusst und wird in dessen Handeln nicht erkennbar, dass er die Geschäfte eines Unternehmens der Mitglieder zu führen, diesen zu dienen und sich dabei nachdrücklich an deren Bedürfnissen zu orientieren hat, ist mit Entfernung der Leitung von der Mitgliederbasis und mit nachlassender Berücksichtigung der Mitgliederbelange in Führungsentscheidungen zu rechnen. Dies wiederum dürfte nicht ohne negative Auswirkung auf die Genossenschaftsorientierung der Mitglieder bleiben.
Auf der anderen Seite wird der Einfluss der Trägergruppe auf die Willensbildung im inneren Machtgefüge zurückgedrängt, wenn managementdominierte Genossenschaften von der Generalversammlung zur Vertreterversammlung, mithin von direkter Mitwirkung aller interessierten Mitglieder in der basisdemokratischen Generalversammlung zur mittelbaren oder repräsentativen Demokratie in der Vertreterversammlung übergehen. Der Wechsel zum Vertreterprinzip erfolgt mitunter allzu früh, indem die Vorschrift des § 43a Abs. 1 GenG, wonach bei mehr als 1.500 Mitgliedern die Generalversammlung durch Vertreter ersetzt werden kann, in der Praxis wie eine Muss-Vorschrift gehandhabt wird. Es ist dann kaum auszuschließen, dass aufgrund einer nur unzureichend an das interne Kommunikationsnetz angeschlossenen Basis dem „gewöhnlichen“ Mitglied Informationen über wichtige Angelegenheiten der Genossenschaft, Förderintentionen des Managements und Effizienz des Handels auf der Funktionärsebene (Vertreter, Aufsichtsrat) entgehen. Schließlich können unvollkommen informierte Mitglieder getroffene Führungsentscheidungen nur begrenzt beurteilen. Mitglieder die sich wehren und sich auf ihre Rechte berufen werden häufig verklagt.
Im Größenwachstum einer Genossenschaft wird der Wechsel zur Vertreterversammlung unvermeidlich und führt zur Ausgrenzung eines Großteils der Mitglieder von der genossenschaftlichen Willensbildung und Kontrolle, mithin zu Demokratieschwund und Schwächung der Selbstverwaltung des gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs. Im Gegensatz dazu wird einem Aktionär der Zutritt zur Hauptversammlung der AG nicht verwehrt. Allerdings ist das Genossenschaftsmitglied auch nicht am Wertzuwachs seiner Genossenschaft beteiligt. Diese Behandlung als „Mensch zweiter Klasse“ ruft eine passive Einstellung nicht weniger Mitglieder zu ihrer Genossenschaft hervor. Zudem fehlt es häufig an Kontakt zwischen den Vertretern und den durch sie vertretenen Mitgliedern. Besonders mit einem frühen Übergang zum Vertreterprinzip wird die Mitgliederdemokratie ohne Not unterlaufen, was in Widerspruch zu dem steht, was in Leitbildern genossenschaftlicher Verbände als Erfolgsrezept empfohlen wird: Pflege und aktivierende Aufwertung des Mitgliedschaftsgedankens. Verzichtet eine Genossenschaft bei Ablösung der Generalversammlung auf die Schaffung ersatzweiser Kommunikationsgelegenheiten, wird nicht bedacht, dass Einbindung der Mitgliederbasis die Verwirklichung von Management-Zielen unterstützen kann. Spätestens dann stellt sich die Frage, ob der Trend zur Verselbständigung der Leitung einer eG zur Beschneidung der Teilhaberechte der Mitglieder, zu deren Entmündigung der Mitglieder, zur Bedeutungslosigkeit der genossenschaftlichen Demokratie und Zurückdrängung des Ehrenamtes in der Genossenschaft führen muss.(1) Abschlie0end stellt sich die Frage ob die Rechtsform eingetragene Genossenschaft heute noch geeignet als Rechtsträger für eine Universalbank geeignet ist.
Vgl. Rolf Steding: Reflektionen zur Architektur eines reformierten deutschen Genossenschaftsrechts, in: Fortbildung des deutschen Genossenschaftsrechts, Vorträge und Aufsätze des Forschungsvereins für Genossenschaftswesen (FOG) Heft 23, Wien 2000, S. 21 (9-32)S. 27
(C) 2017-2013 AG Rechtsformwechsel für Bankgenossenschaften / Cooperative Governance / CoopGo