Das Genossenschaftswesen ist in Deutschland mit einer unter staatlicher Aufsicht agierenden genossenschaftlichen Selbstverwaltungsorganisation gleichzusetzen. Zentrum der Selbstverwaltungsorganisation ist ein auf einer gesetzlichen Zwangsmitgliedschaft in einem Prüfungsverband basierender Verwaltungsapparat. Dieser bewegt sich in einem wettbewerbsfreien Raum und finanziert sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge, Beratungsleistungen und Prüfungsgebühren. Die genossenschaftliche Selbstverwaltungsorganisation nimmt auch Einfluss auf die Unternehmenssteuerung und die Auswahl der Genossenschaftsorgane, da diese häufig eine Zulassung durch den Prüfungsverband benötigen.
Durch die Teilung Deutschlands verlief die Entwicklung des Genossenschaftswesens nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einheitlich. Grob vereinfacht waren der Nationalsozialismus und der sowjetische Staatssozialismus in ihrer Grundausrichtung, ihrer Betonung der Volksgemeinschaft und der Planwirtschaft vergleichbar. Beide Systeme zeichneten sich durch eine „Top down“-Führungskultur aus, so dass die Wirtschaft bzw. die Genossenschaften in beiden Systemen zentral gesteuert und kontrolliert werden konnten. Nach dem Krieg blieb das stalinistische Genossenschaftswesen in Ostdeutschland erhalten, während am westdeutschen Genossenschaftsgesetz kosmetische Korrekturen vorgenommen wurden, die letztendlich aber dazu dienten, die Position der Genossenschaftsverbände weiter zu stärken. So entstanden bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 nicht nur zwei deutsche Staaten, sondern auch zwei unterschiedlich ausgerichtete Genossenschaftssysteme. Die Genossenschaften in der sowjetisch besetzten Zone setzten bereits vor der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik per Befehl der sowjetischen Militäradministration Deutschland ihre Tätigkeit fort und wurden Bestandteil der Sozialistischen Planwirtschaft. In die bestehenden Satzungen der Genossenschaften wurde nicht eingegriffen, da diese mit dem sowjetischen Verständnis der genossenschaftlichen Selbstverwaltung harmonierten.
Die Bundesrepublik Deutschland übernahm die im Nationalsozialismus entwickelten genossenschaftlichen Verwaltungsstrukturen, stellte die Genossenschaftsverbände aber 1946 unter Aufsicht der Bundesländer, um den föderalistischen Gedanken des Grundgesetzes zu wahren. Die Bundesländer können seither den Prüfungsverbänden die Zulassung gewähren oder ihnen die Prüfungslizenz absprechen. Zuständig für die Staatsaufsicht ist das jeweilige Wirtschaftsministerium des Landes, in dem der Prüfungsverband seinen Sitz hat. Auf Bundesebene kümmert sich noch das Ministerium für Verbraucherschutz und Justiz Referat III A 5 um das Genossenschaftsrecht. Dieses wird von der BaFin ( Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) und der APAS (Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) unterstützt.
Die grundlegenden Prinzipien der Führung und Überwachung wurden beibehalten. Durch gute Beziehungen zur Politik und durch massive Lobbyarbeit wurde der systematischen Aushöhlung demokratischer genossenschaftlicher Strukturen weiter Vorschub geleistet.
Die Wiedervereinigung Deutschlands hätte eine Neuausrichtung ermöglichen können. Stattdessen wurden die ostdeutschen Genossenschaften schnell und systemkonform zerschlagen. Anstatt die Vermögen der DDR Genossenschaften zu erhalten, wurde diese auf Druck der Bundesregierung und ihrer Berater privatisiert und zum Teil sogar verschleudert.
Damit gibt es zwar seit 1990 ein einheitliches deutsches Genossenschaftsrecht. Die große Chance, das deutsche Genossenschaftswesen zu modernisieren, wurde jedoch verpasst. Lediglich dem 1990 in Sachsen-Anhalt gegründeten genossenschaftlichen Prüfungsverband PVDP (Prüfungsverband Deutscher Produktivgenossenschaften, heute VDP) ist es gelungen, das bis dahin vorherrschende regionale Prüfungsmonopol der Raiffeisenstruktur aufzuheben. Heute existieren neben den in die Dachverbände eingebunden Prüfungsverbänden auch einige wenige unabhängige Prüfungsverbände.
Textvorlage: igenos e.V. Interessenvertretung der Genossenschaftsmitglieder, Bullay