Dessau/Berlin den 2.Mai 2022. Ein MMW Gastkomnentar. Die Mitgliederzahlen der Genossenschaften in Deutschland sinken und sinken. Die „Schlecht-Marke“ von 7.900 Genossenschaften (!) ist nicht mehr weit entfernt. In fast allen Ländern der EU, ist „Faszination“ für Genossenschaften „angesagt“. Diese Aussagen lassen sich mit der Kennziffer Geno-Ratio glaubhaft belegen und sprechen für sich. Die Geno-Ratio ist eine Vergleichskennziffer in der die Anzahl der Genossenschaften je 100.000 Einwohner ausgewiesen werden.(*)
Im direkten Vergleich zu Italien , müsste es in Deutschland ca. 82.800 Genossenschaften geben! Im Vergleich zu Spanien 35.200 im Vergleich zu Frankreich 28.700.
Und wie reagiert die Politik auf diese Entwicklung?
Eine „Kienbaum-Studie“ hatte bereits 2013 deutliche Nachteile zu anderen Rechtsformen, z.B. der UG erkannt. Während die kleinen GmbHs (UG) boomten, flachte das Interesse für Genossenschafts-Gründungen immer mehr ab. Lediglich die Energiegenossenschaften sorgten vorübergehend für „scheinbaren“ Aufschwung.
Statt „Bürokratie-Abbau“ wird überlegt, noch mehr „Bürokratie-Aufbau“ den Genossenschaften aufzuerlegen. Seit 2013 liegt ein fertiges „Koop-Gesetz“ vor, das kleinen Genossenschaften „Gründungserleichterungen“ bringen sollte.
Die aktuellen Zahlen zeigen deutlich: Das Land von Raiffeisen und Schulze-Delitzsch befindet sich im Rahmen der EU auf einem „Abstiegsplatz“!
Ob Initiativen wie das „Maker-Camp“ oder die CoopGo Initiative „Genossenschaften gründen Genossenschaften“ helfen, den „Geno-Verfall“ aufzuhalten?
Statt eine offene politische Diskussion zu wagen, wird in der Regierungskoalition über eine weitere Verstärkung staatlicher Kontrolle nachgedacht. Wie allerdings fehlende Faszination durch Staatskontrolle zu erreichen ist, wäre jetzt offen zu diskutieren. Nicht, wie gehabt, in kleinen Kreisen, sondern offen und offensiv. Wäre – angesichts des direkten EU-Vergleichs – es nicht jetzt richtig, das deutsche Genossenschaftswesen, von der Zuständigkeit des Bundestages zu befreien?!
Wie wäre es – wie 2013 mit der Kienbaum-Studie geschehen – jetzt nicht angebracht, eine unabhängige Institution zu beauftragen, die eigentlichen Ursachen und Wirkungen zunächst professionell zu untersuchen?! Wir denken da an die MONDRAGON Universität, die ja auch in Deutschland präsent ist.
Dabei sollte auch die Frage einbezogen werden, was Deutschland – in Sachen Genossenschaften – von anderen EU-Ländern unterscheidet?
Genossenschaften sind für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes viel zu wichtig, um jetzt durch bürokratischen „Regelungs-Aktionismus“ den Schaden noch zu vergrößern. Als erste Maßnahme zur Einsicht, könnte man das ferige Gesetz für die „kleine Genossenschaft“ (KoopG) nach fast 10 Jahren Vorbereitungszeit, nun doch vielleicht endlich beschließen!
Die Regierungskoalition sollte bei ihren „Verschärfungs-Ideen“ berücksichtigen, dass die Antwort nicht ausbleiben wird: Initiativen zur EU-Hamonisierung des Genossenschaftswesens. Einzig die Länder Deutschland und Österreich haben in der EU im Bereich der Genossenschaft eine Sonderstellung. Der Grundtenor heißt: Wir setzen auf staatliche oder quasi-staatliche Kontrollen, wie z.B. eine „Pflicht-Mitgliedschaft jeder Genossenschaft in einem „Prüfungsverband“. Und diese Prüfungsverbände unterliegen offiziell einer Staatsaufsicht. Diese seit 1934 bestehende Regelung hat sich augenscheinlich nicht bewährt. Hätte sie sich bewährt, müsste Deutschland ein Land der „blühenden Genossenschaften“ sein. Der Zusammenhang von fehlender „Faszination“ für die Neugründung von Genossenschaften und einer Zwangsmitgliedschaft jeder Genossenschaft in einem – der sich wohl noch verschärfenden Staatskontrolle – unterliegenden Prüfungsverband, scheint durchaus gegegeben. Es wäre jetzt an der Zeit, dass die Bundesregierung zunächst den Nachweis erbringt, dass sich der deutsche „Anti-EU-Sonderweg“ wirklich bewährt hat. Dazu sollten zunächst der Weltgenossenschaftsverband ICA gebeten wird, den Genossenschafts-Sektor in Deutschland mit denen anderer EU-Staaten zu vergleichen und darzulegen, dass und wie sich ein deutscher Sonderweg bewähren könnte.
Außerdem sollte erläutert werden, weshalb der seit 2013(!) bestehende Gesetz-Entwurf für „Kleingenossenschaften“ (KoopG) bisher nicht in Kraft gesetzt wurde oder wann – und ob überhaupt – mit dessen Erscheinen (noch) zu rechnen sein wird?
Worum es eigentlich geht ist – auf den Punkt gebracht:
• Der zunehmenden „Faszination“ der Menschen im Lande, für mehr kooperative (wirtschaftliche) Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, zeitnah und unbürokratisch zu entsprechen.
Wir vermögen nicht zu erkennen, dass dies im Widerspruch zu modernen liberalen, sozialen oder ökologischen Grundsätzen stehen könnte.
*) Quelle CoopGo Arbeitspapier: Die genossenschaftliche Identität in Deutschland im Jahr 2021