Dessau-Roßlau, 18. August 2021 (geno). Im Bereich der deutschen Genossenschaftsbanken grassiert eine sozial-ökonomische Seuche namens Fusionitis. Das Krankheitsbild beruht auf einer Regelung des Genossenschaftsgesetzes, das es Kooperativen mit mehr als 1.500 Mitgliedern erlaubt, statt der obligatorischen Generalversammlung sogenannte Vertreterversammlungen zu organisieren. Die genossenschaftliche Mitgliedschaft als Souverän soll also seine fundamentalen Entscheidungsbefugnisse abgeben und auf „Vertreter“ übertragen. Gerd K. Schaumann, Vorstand im MenschenMachenWirtschaft (MMW) Bundesverband, bezweifelt in einem Pressebeitrag am Mittwoch, dass dieses Vorgehen auch auf die Verschmelzung von Genossenschaftsbanken angewandt werden kann, also verfassungskonform ist. Solche Bedenken habe auch eine Fachgruppe im SmartCoop Forschungsinstitut (SCFI) seines Bundesverbandes geäußert. Es könne nicht mit dem Grundgesetz übereinstimmen, wenn Vertreterversammlungen statt Generalversammlungen sämtlicher Mitglieder über das Zustandekommen von genossenschaftlichen Fusionen befinden. Empfohlen wird, das Bundesverfassungsgericht zur Klärung dieser Frage anzurufen. Bis dahin sollten zunächst keine Verschmelzungen angestrebt oder vorgenommen werden. Nichts spreche dagegen, wenn bereits in Angriff genommene Fusionen zunächst „ruhen“.
Dem Beitrag zufolge hat die Situation inzwischen dazu geführt, dass Tausenden von Mitgliedern als eigentliche Souveräne das Recht genommen wurde, selbst darüber zu richten, ob ihre Genossenschaft fortbesteht oder untergeht. Außerdem sind solche Fusionen mit erheblichen „Vermögensschäden“ verbunden. Das berge die Gefahr, das deutsche Genossenschaftswesen – national und international – in Schieflage zu bringen. Schaumann hält neben der grundsätzlichen Klärung vor Deutschlands höchster Gerichtsinstanz praktikable politische Lösungen für erforderlich.
„Den Parteien sollte es im Rahmen der bevorstehenden Bundestagswahl ‚Wert‘ sein, sich gemeinsam über die Zukunft der Genossenschaftsbanken Gedanken zu machen“, so der Bundesverbandsvorsitzende. Beispielsweise mache eine Art „Gesamtmitglieder-Votum“ Sinn. ++ (gb/mgn/18.08.21 – 078)
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2 Kommentare.
Das Geschäftsmodell Genossenschaftsbank befindet sich am Scheideweg. Es geht und das große Ganze, den kooperativen Wandel. Genossenschaftsbanken müssen sich auf die Genossenschaftsidee zurückbesinnen, welche die Bedürfnisse des Genossenschaftsmitgliedes vor Ort befriedigen. igenos fordert einen sofortigen radikalen Kurswechsel und den Stopp der unsinnigen Zusammenführung vieler kleinerer Bankgenossenschaften zu immer größeren Milliardenbanken. Größe ist nicht die richtige Antwort auf die digitale Transformation. Kooperation, Transparenz, schlanke Strukturen und ein neuer, genossenschaftlich geprägter Führungsstil sind eine Lösung.
Die GenoNachrichten haben sich im Beitrag: „Morgen kann kommen“ zuletzt am 8.Juni 2021 mit der Thematik befasst.
„Sehr geehrte Redaktion, der Artikel ist dem Grunde nach stimmig. Was jedoch etwas bei Ihren Darstellungen zu kurz kommt – und das ist wichtiger Punkt der SCFI-Stellungnahme – ist die (politische) Zukunft des gesamten Bankenwesens. In diesem Zusammenhang sind Verschmelzungen von Genossenschaftsbanken – in welcher Form auch immer – zwar „saisonale Zwischenlösungen“ aber (noch) keine überzeugende strategische Perspektive, die wirkliche Antworten gibt. Je stärker das WIR in der Nähe der Menschen bleibt, um so höher ist die Identifikation mit diesem WIR und um so eher sind dann – wahrscheinlich – notwendige politisch erfolgreiche – Voten (hinter denen Millionen von Genossenschaftlern stehen könnten) erreichbar. Das ist jedoch nur dann zu bekommen, wenn die Mitglieder wirklich von „Unserer Bank“ sprechen werden … Jede Verschmelzung ist wahrscheinlich zugleich ein Stück weniger Identität und könnte dann zu dem führen, was man eigentlich vermeiden wollte .“..