Linz, 13. August 2021 (geno). Ähnlich den deutschen Genossenschaftsbanken befinden sich auch die österreichischen Raiffeisenkassen in einem erheblichen Dilemma. Zu diesem Ergebnis kommt Herbert Resnitschek in einer wissenschaftlichen Untersuchung an der Universität Linz. Die Diplomarbeit zeigt insbesondere die außerordentlichen Defizite beim Umsetzen des genossenschaftlichen Förderauftrags und der innergenossenschaftlichen Demokratie auf. Das Förderprinzip, das unverzichtares Grundelement einer Genossenschaft ist, mutiert in der genossenschaftlichen Praxis der Raiffeisenkassen zum Etikettenschwindel, stellt der Soziologe fest. Das „nutzende Mitglied“ müsse im Mittelpunkt stehen. Es befinde sich in einer Leistungsbeziehung und in einem Gesellschaftsverhältnis zur Genossenschaft. Das Mitglied sei deshalb unmittelbar und mittelbar materiell, immateriell und ideell zu fördern. Diese Pflichtaufgabe nur mit Regionalförderung, allgemeiner Kundenförderung oder Mitgliederförderung außerhalb des gemeinsamen Geschäftsbetriebes abzutun, entspricht nicht dem eigentlichen Förderungsauftrag und den förderungswirtschaftlichen Leistungen.“ Wenn dies in der Praxis als Mitgliederförderung marketingmäßig beworben werde, sei es eben als Etikettenschwindel zu bezeichnen. Allerdings mache die Wissenschaft keine Aussagen weder darüber, inwieweit und wie streng Genossenschaftsprinzipien im praktischen Geschäftsbetrieb zu beachten sind, noch gebe es Vorschriften über die Berücksichtigung „normativer Eigenschaften“ oder über ethische Verhaltensweisen in der Geschäftspolitik. Ebenso wenig fänden sich – mit Ausnahme des für alle Kreditinstitute geltenden Bankengesetzes – in wirtschaftlicher Hinsicht allgemein gültige Richtlinien für Genossenschaften.
Auf dem Gebiet der genossenschaftlichen Mitbestimmung und Willensbildung reduzieren sich nach den Worten von Resnitschek die Rechte und Möglichkeiten zur Partizipation der Mitglieder im Wesentlichen auf die Teilnahme an der Generalversammlung der Genossenschaft. „Die Wahl des Vorstandes und des Aufsichtsrates durch die General- beziehungsweise Vertreterversammlung entspricht zwar durchaus den Prinzipien der repräsentativen Demokratie, inwieweit damit aber einer partizipativen Willensbildung und Entscheidungsfindung Genüge getan werden kann, wenn sie sich auf Akklamation im höchsten Gremium reduzieren, bleibt offen. Verbunden mit einem gewissen Formalismus im Ablauf der Generalversammlung wird wahrscheinlich der oft kritisierten ‚Mitgliederapathie‘ Vorschub geleistet“. Jedenfalls habe die direkte Demokratie in der genossenschaftlichen Praxis an Bedeutung verloren. Das gehe auch aus dem „Leitbild der Raiffeisenkasse“ hervor, das vom Dr. Rudolf-Rasser-Institut vor rund 50 Jahren zur Förderung der Raiffeisen-Idee durch Wissenschaft und Medien fixiert wurde.
Der Genossenschaftsforscher kommt zu dem Schluss, dass Partizipation nur durch einen „permanenten Lernprozess“ ein- und fortgeführt werden kann. Zu seinen ernüchternden Forschungsergebnissen gehört auch die äußerst geringe Teilnahme an den Generalversammlungen. Sie werden nur von sechs Prozent der Genossenschafter regelmäßig besucht. Sporadisch kommt mit 25 Prozent nur ein Viertel der Mitglieder. Zwei Drittel – 68 Prozent – erscheinen nur selten oder nie. Auch die Altersstruktur gibt zu denken: Die 16- bis 30jährigen stellen nur acht Prozent der Mitgliedschaft. 51 Prozent der österreichischen Raiffeisenbank-Genossen sind mehr als 50 Jahre alt. ++ (ra/mgn/13.08.21 – 075)
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