Seit der Novellierung 2006 erlaubt das deutsche GenG in § 9 Abs. 1 Satz 3, für „kleine Genossenschaften mit bis zu 20 Mitgliedern in der Satzung vorzusehen, auf den Aufsichtsrat als Regelorgan zu verzichten. Man muss nicht über prophetische Gaben verfügen, um zu vermuten, dass viele Vorstände von Genossenschaften mit größerer Mitgliederzahl es sympathisch, weil bequemer fänden, wenn generell ein solcher Verzicht möglich wäre. Dafür sprechen diverse Beobachtungen in der aktuellen Genossenschaftspraxis, und vor allem wieder einmal besonders in der kreditgenossenschaftlichen Sparte.
(1) De facto-Nominierung der Kandidaten für das Aufsichtsratsorgan nach dem Willen des Vorstandes
Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind von der Mitgliederversammlung (General- bzw. Vertreterversammlung) zu wählen. So verlangt es das GenG. Vielfach werden jedoch die zu wählenden Kandidaten vom Vorstand der Versammlung vorgeschlagen und bilden die Grundlage für den Wahlgang, etwa mit der Begründung, dieses Vorgehen vereinfache die Wahlprozedur. Je nachdem, wie nachdrücklich diese „Vorbereitung‘“ als gute Lösung empfohlen wird, steht dem entgegen, dass die erschienenen Mitglieder als Miteigentümer der Genossenschaft des Rechts beraubt werden, geeignete Kandidaten aus ihren Reihen vorzuschlagen. Der Vorstand greift in die vom Gesetzgeber gewollte demokratische Verfassung der Genossenschaft ein.
(2) Die handverlesenen Kandidaten sind nicht immer genügend qualifiziert
Mit zunehmender Größe der Genossenschaft wird es schwieriger, den Aufsichtsrat mit Mitgliedern zu besetzen, die genügend betriebswirtschaftliches Fachwissen mitbringen, das es erlaubt, einem professionellen Vorstand auf Augenhöhe zu begegnen. Allerdings sollte auch dieser Typ in jedem Aufsichtsrat vertreten sein, der in der Lage ist,, den Jahresabschluss, den Lagebericht und die Verwendung des Jahresüberschusses für Rücklagenbildung und Dividendenverteilung kompetent zu prüfen. An dazu fähigen Mitgliedern besteht ein auffälliger Mangel, nicht zuletzt mitverursacht durch die Wahl dem Vorstand angenehmer Kandidaten für den Aufsichtsrat. Defizite werden gern damit kommentiert, das Aufsichtsratsorgan könne sich auf die Ergebnisse der Prüfung durch den zuständigen Verband verlassen. Dem steht § 38 Abs. 3 GenG entgegen: „Die Mitglieder des Aufsichtsrats können ihre Aufgaben nicht durch andere Personen wahrnehmen lassen“, also auch nicht ersetzen.
(3) Gemeinsame Sitzungen von Vorstand und Aufsichtsrat
Der Aufsichtsrat hat als „verlängerter Arm“ der Mitgliederbasis stellvertretend für diese die Kontrolle der Vorstandstätigkeit auszuüben. Das verlangt im Normalfall Aufsichtsratssitzungen, die ohne „Beaufsichtigungen“ durch anwesende Vorstandsmitglieder erfolgen, sodass durch das Kontrollgremium vom Vorstand nicht beeinflusste Entscheidungen getroffen werden können. Diese Unsitte wird in aller Regel mit zeitnaher Übermittlung von Informationen begründet, die der Aufsichtsrat für bestimmte Beschlüssen benötigt. Unter diesem Deckmantel einer fruchtbaren Zusammenarbeit kommt freilich ein Instrument zur Einflussnahme oder besser der Lenkung und Steuerung der Aufsichtsratsbeschlüsse zum Einsatz. Denn im Normalfall obliegt es dem Vorsitzenden des Kontrollgremiums, vorab die erforderlichen Informationen vom Vorstand einzuholen.
(4) Wahl aus dem Vorstand ausscheidender Vorstände in den Aufsichtsrat
Mittlerweile ist es “herrschende Übung“ geworden, aus der Leitung einer Genossenschaft ausgeschiedene Mitglieder in den Aufsichtsrat zu wählen. Dadurch soll die Kompetenz des Kontrollorgans gestärkt werden. Die Kehrseite dieser Maßnahme ist freilich, dass diese Delegation von Leitungswissen dazu dienen kann, im Sinne des amtierenden Vorstands Einfluss auf die Tätigkeit des Aufsichtsrats zu nehmen. Um dies zu vermeiden und eine „von außen“ unbeeinflusste und unverfälschte Aufgabenerfüllung des Aufsichtsrats zu gewährleisten wäre von einer solchen an sich zulässigen Maßnahme nicht Gebrauch zu machen.
(5) Die Unabhängigkeit und Autonomie des Aufsichtsrat
Die genannten Beispiele weisen auf die Gefahr hin, die Bedeutung des Aufsichtsrats als obligatorisches Organ einer Genossenschaft abzuschwächen, die demokratischen Rechte und andererseits auch Pflichten der Mitglieder an der Basis einer Genossenschaft auszuhebeln und damit letztlich die per Gesetz verordnete strukturelle Organisation einer Genossenschaft zu ignorieren. Es ist an der Zeit, die Genossenschaften energisch dazu anzuhalten, ihr Handeln mit dem Genossenschaftsgesetz in Einklang zu bringen. Das setzt voraus, den Inhalt und dabei vor allem den demokratischen Geist des GenG zur Kenntnis zu nehmen, statt nach hausgemachtem Modus zu verfahren. Es darf keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat bestehen. Das gilt insbesondere für Bankgenossenschaften. Wenn, mit anderen Worten, aber die wirtschaftliche Existenz einzelner Aufsichtsräte von sogenannten “Wertberichtigungen” oder Finanzierungszusagen des Vorstands abhängig ist, kann ein Aufsichtsrat nicht wirklich unabhängig sein.
Die Mitgliederinteressen werden aber zunehmend auch in großen Wohnungsgenossenschaften vernachlässigt. Dies gilt immer dann, wenn politische Mandatsträger, die die Genossenschaftseinrichtung selbst gar nicht nutzen, als Aufsichtsräte eingesetzt werden. Wohnungsgenossenschaften haben den Auftrag, ihrer Mitglieder zu fördern. Dies geschieht unter anderem durch eine an den Kosten orientierte Nutzungsgebühr, die keinerlei Bezug zum sogenannten Mietenspiegel hat. Wohnungsgenossenschaften sollten auch nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der Eigentümer übermäßig hohe Rücklagen bilden, die dann für kommunale Wohnraumbeschaffungsmaßnahmen eingesetzt werden.
igenos e.V. Arbeitskreis Aus- und Weiterbildung.