Belgrad, 23. April 2020 (geno). Das Modell der Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien gilt weithin als herausragendes Alleinstellungsmerkmal dieses föderativ organisierten Balkanstaates. Lange war es ein wichtiger Gegenstand jugoslawischer und internationaler Forschung und Diskussion. Das fand mit der Liquidation des Staates Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ) vor mehr als zwei Jahrzehnten ein abruptes Ende. Das stellen Darde Tomic und Stefan Pavleski vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in der Zeitschrift „Südosteuropäische Hefte“ fest. Die letzte systematische wissenschaftliche Bearbeitung habe im Jahr 1995 Susan Woodward vorgenommen, indem sie aus historischem Blickwinkel den Zusammenhang zwischen Selbstverwaltung und Arbeitslosigkeit beleuchtete. Dabei komme sowohl sie als auch andere Analysten zu dem Schluss, dass das Selbstverwaltungssystem kaum als Hintergrund für die latent schwierige Beschäftigungssituation in Jugoslawien zu betrachten ist. „Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit in Jugoslawien war die Selbstverwaltung ganz bestimmt nicht. Eine bessere Lösung für dieses Problem konnten die Selbstverwalter aber auch nicht finden.In diesem Sinne ist jede kritische Neubewertung der jugoslawischen Selbstverwaltung mehr als willkommen,“ konstatieren Tomic und Pavleski. „Auch der ausgebliebene wirtschaftliche Erfolg der Reformen der 1960er Jahre war kaum auf die Arbeiterselbstverwaltung zurückzuführen.“ Die Frage nach den Mitbestimmungsrechten und das Anliegen vieler Menschen – nicht nur im postjugoslawischen Raum – , in einer sozial gerechteren Gesellschaft zu leben, bleibe nach wie vor aktuell.
Der erste Aufruf zur Gründung von Arbeiterräten erfolgte im Jahr 1949 und fand in 200 Unternehmen ein lebhaftes Echo. Ein Jahr später wurde ein dementsprechendes Gesetz erlassen. Dieses „Gesetz über die Verwaltung staatlicher Wirtschaftsunternehmen und höherer wirtschaftlicher Vereinigungen seitens der Arbeiterkollektive“ gilt als Geburtsstunde der Arbeiterselbstverwaltung, die von Staatschef Josip Broz Tito vehement unterstützt wurde. Später sollte das Prinzip der Selbstverwaltung von den Arbeitsorganisationen in den Unternehmen auf die gesamte Gesellschaft Jugoslawiens übertragen werden, beispielsweise auf die diversen Parlamente und auf die Gemeinden als „gesellschaftlich-politische Gemeinschaften“. ++ (ju/mgn/23.04.20 – 062)
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