Berlin, 22. November 2019 (geno). Während die Verfassung der DDR genossenschaftliches Eigentum garantiert, ist dazu im Grundgesetz der BRD nichts zu finden. Der ostdeutsche Staat kannte beispielsweise zwei Arten von Wohnungsgenossenschaften. Entscheidendes Unterscheidungsmerkmal war das Gründungsdatum – vor oder nach 1945. Die vor Kriegsende bereits bestehenden Selbsthilfeorganisationen im Wohnungssektor waren als Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaften (GWG) akzeptiert und wirtschafteten als solche weiter. Allerdings war von ihnen kein Neubauimpuls zu erwarten. Die damals eingetretene Wohnungsnot in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR jedoch gebot Abhilfe. Eine erste Initiative ergriff das volkseigene Transformatoren- und Röntgenwerk Dresden. Es veranlasste die Gründung der ersten Arbeiterwohnungsgenossenschaft (AWG) der DDR – massive finanzielle und materielle Unterstützung einbegriffen. Geburtagsdatum war der 24. März 1954. Das war eine politische Steilvorlage, denn für die DDR-Regierung ergab sich durch den vom Aufstand am 17. Juni 1953 ausgelösten Druck der Volksbasis erheblicher Handlungsbedarf. Später – am 21. November 1963 – wurde sogar eine „Verordnung über die Arbeiterwohnungsgenossenschaften“ erlassen. Nach diesem 1973 neu gefassten Regelwerk waren die AWG werkverbundene Wohnungsunternehmen, die bei den volkseigenen Betrieben und Kombinaten gebildet werden.
Details zum genossenschaftlichen Wohnungssektor in der DDR sind in einer Untersuchung von Walter Hinrichs für die Arbeitsgruppe Sozial-Berichterstattung des Wissenschaftszentrums (WZ) Berlin zur Wohnungsversorgung in der ehemaligen DDR von Juli 1992 ausgeführt. Basis der Analyse war die DDR-Statistik von 1949 bis 1989. In der WZ-Studie heißt es: „Der genossenschaftliche Wohnungsbau begann 1954. Ein statistischer Nachweis erfolgte seit 1955 mit 3.225 neugebauten Wohnungen. Die Höhepunkte des genossenschaftlichen Wohnungsbaus waren 1962 mit 50.700 Wohnungen und 1978 mit 43.100 gebauten Wohnungen. 1989 wurden auf diese Weise nur noch 22.100 Wohnungen errichtet.“ Dem Bericht zufolge waren 1989 insgesamt 1,3 Millionen Haushalte in genossenschaftlichen Wohnungen untergebracht, die zum überwiegenden Teil aus den 60er bis 80er Jahren datieren.
Nach Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2007, die auf Informationen eines „Rings der Genossenschaften“ beruhen, gab es seinerzeit in Ostdeutschland 792 Wohnungsbaugenossenschaften mit 1,07 Millionen Mitgliedern, die insgesamt 1,075 Millionen Wohnungen bewirtschafteten. Die Geschäftsguthaben der eingezahlten Genossenschaftsanteile haben sich auf ca. 1,3 Milliarden Euro belaufen. Über den genauen gegenwärtigen „Aufenthaltsort“ dieser Vermögenswerte sind bislang keine Informationen zugänglich bzw. bekannt.
Die Gewährleistung und Förderung genossenschaftlichen Eigentums sind in allen drei DDR-Verfassungen von 1949, 1968 und 1974 verankert. Besonders manifest wird das in der Verfassung von 1968 und deren Artikel 10, weil über sie ein Volksentscheid von 12,2 Millionen DDR-Bürgern stattfand. Ihr stimmten 94,54 Prozent der Wahlteilnehmer zu. Auch der Verfassungsentwurf des Runden Tisches vom April 1990 sichert in Artikel 29 Genossenschaften generelle Begünstigungen zu. Es heißt dort: „Die Bildung genossenschaftlichen Eigentums wird gefördert. Dem persönlich genutzten Eigentum steht genossenschaftliches Eigentum gleich“. Aber dann kam die Treuhand. ++ (wg/mgn/22.11.19 – 201)
www.genonachrichten.de, e-mail: mg@genonachrichten.de, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), tel. 0176 / 26 00 60 27