Internationaler Tag der Genossenschaften 2019. Deutschlandweit gibt ca. 7.500 aktive Genossenschaften mit immerhin 23 Millionen Mitgliedern. Davon interessieren sich allerdings mehr als 90 % gar nicht für die Genossenschaftsidee. Die Mitglieder wissen somit auch nicht, wie ihre Genossenschaft funktioniert. Tatsächlich wird dieses Desinteresse systematisch ausgenutzt. Es ist einfach, den Rechtsmantel einer „eingetragenen Genossenschaft“ zu missbrauchen. igenos, die Interessenvertretung der Genossenschaftsmitglieder leistet notwendige Aufklärungsarbeit und fordert ein: Wo Genossenschaft draufsteht, muss auch Genossenschaft drin sein.
Weltweit werden Genossenschaften von unten, durch ihre Mitglieder gesteuert. Neben Transparenz, Partizipation und Miteigentümerschaft gehört die Steuerung durch die Mitglieder zur DNA jeder Co-operative.
In Deutschland wurde die genossenschaftliche Basisdemokratie 1934 weitgehend abgeschafft. Ein Großteil, vor allem der mitgliederstarken Großgenossenschaften, die sich durch ihren Übergang zum Vertreterprinzip von der Basisdemokratie entfernt haben, kann seitdem leichter von oben, durch ihren Genossenschaftsverband, gesteuert werden. Und das ist zum Normalfall geworden.
Besonders stark betroffen sind die Volks- und Raiffeisenbanken, aber auch die großen Wohnungsgenossenschaften entwickeln ein hausgemachtes Demokratieverständnis. Dieser Missstand betrifft etwa 30 % aller Genossenschaften, die aber gewichtet mehr als 80% der Genossenschaftsmitglieder auf sich vereinen. Somit sind 8 von 10 Genossenschaftsmitgliedern betroffen.
Eine Ursache ist die besondere Machtposition der genossenschaftlichen Prüfungsverbände als externe Dienstleister, die sich häufig wie Hausherren benehmen und ihre angeschlossenen Genossenschaften wie Filialen einer Fastfood Franchisekette führen.
Dabei unterhält jede Genossenschaft einen rechtlich selbstständigen Geschäftsbetrieb, der ganz allein den Mitgliedern gehört. Genossenschaftsvorstände, die im Gleichschritt mitlaufen und sich dem Diktat der Verbände unterwerfen, werden großzügig belohnt und erhalten persönliche Sondervorteile. Hingegen werden Vorstände, die fest zu ihrer Genossenschaft stehen, entthront, d. h. mit freundlicher Unterstützung der BaFin abgesetzt. Letzteres gilt vor allem für die Bankgenossenschaften, deren Anzahl stark rückläufig ist. Mit jeder Fusion wird eine Genossenschaft gelöscht und das Genossenschaftsvermögen „genossenschaftlich umgelagert“.
Die etablierten Genossenschaftsverbände „beraten“ und „prüfen“ dann, ob ihre „Empfehlungen“ auch umgesetzt werden. Honorare und Prüfungsgebühren werden von der Genossenschaft getragen, aber Transparenz und Mitgliederorientierung sind mittlerweile zu Fremdwörtern verkümmert.
Die Herrschaftsinstrumente stammen aus Hitlerdeutschland: Zwangsmitgliedschaft und Pflichtprüfung der Genossenschaft bilden heute noch das Fundament der genossenschaftlichen Selbstverwaltung. Bei Nichterfüllung des mitgliederbezogenen Förderauftrags droht gemäß Genossenschaftsgesetz die Auflösung der Genossenschaft durch die Aufsichtsbehörde – was aber de facto nicht geprüft wird. Traditionell gute Beziehungen in die Politik stärken das Verbandssystem. Verbandsinterne Strategiepapiere und Mustersatzungen helfen den Verbänden, ihren Machtapparat zu festigen.
Das muss aber nicht sein: igenos setzt sich für eine grundlegende Erneuerung und den Umbau des genossenschaftlichen Verbandswesen ein. Es geht zunächst darum, die Genossenschaftsmitglieder über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären und die Mitglieder auf allen Ebenen an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Wenn auch vielfach unerwünscht: Genossenschaftliche Demokratie ist recht einfach. Grundsätzlich können die Genossenschaftsmitglieder die Leitung ihrer Genossenschaft wieder selbst übernehmen. Die Satzung ist das Grundgesetz jeder Genossenschaft. Die Generalversammlung kann als höchstes Entscheidungsorgan der Genossenschaft eine neue Satzung verabschieden, den Prüfungsverband wechseln und wenn es notwendig ist, Aufsichtsrat und Vorstand absetzen. Die Generalversammlung kann auch den Geschäftsgegenstand ändern. Bankgenossenschaften können ihr Bankgeschäft verkaufen, den Geschäftszweck der Genossenschaft ändern und ihre Genossenschaft als Bürgergenossenschaft weiterführen. Die Mitglieder der Wohnungsgenossenschaften können die Nutzungsgebühr selbst festlegen und selbst entscheiden, wie die Rücklagen der Genossenschaft zu verwenden sind. Dies alles ist jedoch kaum bekannt, weshalb igenos sich vorgenommen hat, für Aufklärung zu sorgen.
Was ist igenos und was welche Ziele verfolgt sie? Die Kurzform steht für Interessengemeinschaft Genossenschaft. Mit den genonachrichten.de und der genossenschaftswelt.de unterstützen wir die Vernetzung regionaler Mitgliederinitiativen. coopgo.de versteht sich als basisdemokratisch organisierte Sammelbewegung.
Der neu gegründete MMW-Coopgo.de Spitzenverband ist die politische Interessenvertretung der Kooperationswirtschaft und der einzige Deutsche Genossenschaftsverband, in dem auch die Genossenschaftsmitglieder mitentscheiden. Internationaler Tag der Genossenschaften 2019 – ein Ereignis, dass uns nachdenklich stimmt.
Gerald Wiegner, Vorstand igenos e.V.