Genossenschaftlicher Teilhabe droht „Ruhe sanft“ – Fragiler Vergleich

Dresden, 10. Mai 2019 (geno). Genossenschaftliche Grundsätze wie Demokratie, Transparenz und Mitbestimmung in Zweifel zu ziehen, ist makaber. Sie jedoch vor Gericht in Abrede zu stellen, als kriminelle Machenschaften bestrafen und das gegenüber einen aktiven Genossenschaftsmitglied exekutieren lassen zu wollen, ist nicht nur tolldreist, sondern als bösartige gesellschaftliche Verwerfung zu betrachten. Dennoch läuft derzeit ein solcher juristischer Test vor dem Amtsgericht Dresden in einer erstaunlichen Offenheit. Zum dritten Verhandlungstag verlangte Rechtsanwalt Joachim von Alvensleben als Rechtsvertreter der Wohnungsgenossenschaft Johannstadt eG (WGJ) von dem beklagten Genossenschaftsmitglied kategorisch, sich jeglicher Aktivitäten, Meinungsäußerungen und Schriftwechsel mit anderen Genossenschaftsmitgliedern zu enthalten und strikte Neutralität zu wahren.

Das ist Teil eines während der Verhandlung unter Schmerzen formulierten Vergleichs zwischen den streitenden Parteien, zu dem Richterin Beatrice Schäfer-Bachmann erneut mehrfach und übereifrig gedrängt hatte. Es passte gar nicht alles in den Maulkorb hinein, den von Alvensleben dem erstaunten, später zunehmend empörten Genossenschaftsmitglied verpassen will. Das angepeilte Stillhalteabkommen läuft auf ein friedhöfliches „Ruhe sanft!“ des allseits verkündeten Selbstverständnisses der Genossenschaftsbewegung hinaus. Der Rechtsanwalt erklärte im Namen der WGJ das Rechtsverhältnis mit dem Beklagten für unwiederbringlich und irreparabel zerrüttet. Insofern müsse dieser über kurz oder lang seine Genossenschaftswohnung räumen und auch künftig den Kontakt zu den WGJ-Mitgliedern oder -Vertretern unterlassen. Der Beklagte stifte in allen erdenklichen Richtungen Unruhe, Zwietracht und Unsicherheit in den Köpfen der rund 8.000 Genossenschaftsmitglieder. Aufgrund dessen werde „seine Mandantschaft mit allen möglichen Publikationen zugeschüttet.“ Der Beklagte errichte „ein einziges Lügengebäude“. Das widerspreche genossenschaftlichen Gepflogenheiten. Der Beklagte sei ein „notorischer Lügner“ und habe womöglich noch Helfershelfer. „Das Tischtuch ist für immer zerschnitten. Das Maß ist voll“, wütete von Alvensleben. In seiner ganzen Entrüstetheit zeigte er sich gleichzeitig außerordentlich angenagt, denn er vermochte für seine schweren Vorwürfe auch nicht andeutungsweise schlagkräftige Beweise zu benennen. Umso hohler und absurder klangen seine Bekenntnisse zu „voller Mitgliederdemokratie“, die er eigentlich mit der gesamten Klage und den von ihm gestellten Anträgen in den Orkus werfen will.

Erstaunlich lange folgt die Richterin den Darlegungen des Rechtsanwalts und rät dem Beklagten zum wiederholten Mal und eindringlich: „Ziehen Sie aus, räumen Sie die Wohnung, versuchen Sie es doch in einer anderen Genossenschaft neu und beginnen ganz von Vorne. Sie sind noch jung, machen Sie einen Neuanfang“. „Wir wollen Ruhe in der Genossenschaft“, assistiert ihr von Alvensleben. Er meint scheinbar die Totenruhe auf einem Gottesacker gepaart mit Kadavergehorsam und Unterwürfigkeit gegenüber dem Genossenschaftsvorstand statt lebendiges konstruktives Streitgespräch.

Alles in allem und unter Würdigung der Hauptaspekte des Streitfalls scheint der mühsam zustande gekommene Vergleich äußerst fragil zu sein. Er kann jederzeit innerhalb der nächsten drei Wochen widerrufen werden. Wenn dieser Fall eintritt, wird am 5. Juli 2019 um 10 Uhr ein hoffentlich reinigendes Justiz-Gewitter über fundamentale genossenschaftliche Fragen niedergehen – dann wohl endlich mit der Beweisaufnahme, die nun schon zweimal vom Programm abgesetzt wurde. ++ (gf/mgn/10.05.19 – 091)

www.genonachrichten.de, e-mail: mg@genonachrichten.de, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), tel. 0176 / 26 00 60 27

Kommentar: Die Mitgliederförderung steht im Vordergrund und ist Zweck jeder Genossenschaft. Eine Umfrage unter den Mitgliedern einer Genossenschaft ist ein legitimes und zeitgemäßes Instrument der Meinungsfindung. Bei der Verwendung des Logos sollte aber der Zusatz “Mitglieder Initiative” nicht fehlen. Ansonsten dient das Logo der Genossenschaft als Erkennungsmerkmal und ist Eigentum der Genossenschaft. Die Genossenschaft gehört wiederum den Mitgliedern. Warum sollte das Logo der Genossenschaft also nicht von den Mitgliedern als gemeinsames Erkennungszeichen eingesetzt und genutzt werden? 

Dass Genossenschaftsvorstände anscheinend panische Angst vor jeder Art der genossenschaftlicher Meinungsfindung und Mitbestimmung haben, wird auch in der Berichterstattung der Genonachrichten vom 16.April 2019 deutlich. Hier geht es um eine Strafanzeige im Zusammenhang mit einer Mitgliederbefragung. 
Diese Art von Einschüchterung hat nun rein gar nichts mehr mit der genossenschaftlichen Idee zu tun. Eine Genossenschaft funktioniert immer von „unten nach oben“.

Darum ist auch der genossenschaftliche Förderauftrag, also die Frage wie die Genossenschaft ihre Mitglieder fördert, von den Mitgliedern gemeinsam in der Satzung festzulegen.
Satzungsänderungen können von den Mitgliedern im Rahmen der General- oder Vertreterversammlung beschlossen werden. Mustersatzungen sind Vorlagen, die von den Mitgliedern angenommen oder auch angepasst werden können.
Die Mitglieder- / Vertreterversammlung ist die höchste Instanz in einer Genossenschaft und hat somit auch die Entscheidungshoheit. Der Vorstand einer Genossenschaft wird von den Mitgliedern bzw. von der Vertreterversammlung gewählt aber auch abgewählt und kann auch per Mitgliederbeschluss aus der Genossenschaft ausgeschlossen werden. 

Der Vorstand wird von den Genossenschaftsmitgliedern bezahlt und hat den Förderauftrag zu erfüllen, d.h. er hat im Sinne der Mitglieder zu handeln. Der Vorstand wurde gewählt, um die Interessen der Eigentümer zu vertreten, der Vorstand ist aber nicht der Eigentümer der Genossenschaft.
Der Aufsichtsrat hat den Vorstand im Auftrag der Mitglieder zu überwachen. Der vom Gesetzgeber beauftragte genossenschaftliche Prüfungsverband hat die
Erfüllung des Förderauftrags zu prüfen und im Prüfungsbericht zu bestätigen.

Durch den genossenschaftlichen Förderauftrag unterscheidet sich die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft von jeder anderen Gesellschaftsform. Dieser Förderauftrag ergibt sich aus dem genossenschaftlichen Identitätsprinzip und dem weitgehenden Verzicht der Genossenschaftsmitglieder an der Beteiligung am Wertzuwachs. 
Ein Prüfungsverband hat über seine Prüfungspflicht hinaus, immer nur eine beratende Tätigkeit.
Die Genossenschaft kann per Mehrheitsbeschluss jederzeit aus dem Prüfungsverband austreten, einen zweiten Prüfungsverband beitreten, und somit den Prüfungsverband wechseln.
Ein aktuelles Beispiel liefert die Volksbank Staufen eG.

Die Pflicht des Prüfungsverbands im neuen § 58 Absatz 1 Satz 3, im Prüfungsbericht zur Einhaltung des Förderzwecks Stellung zu nehmen, dient der Transparenz. Der Förderzweck stellt das charakteristische Merkmal der Rechtsform der Genossenschaft dar. Vorstand, Aufsichtsrat und die übrigen Genossenschaftsmitglieder sollen frühzeitig gewarnt werden, falls sich eine Genossenschaft von ihrem Förderzweck entfernt. Der Fall, dass eine Genossenschaft keinen oder keinen zulässigen Förderzweck mehr verfolgt, ist kann aber sehr gravierende Folgen haben: Gemäß § 81 GenG kann die Genossenschaft aufgelöst werden. Was bedeutet, die Genossenschaft hat dann die Rechtsform zu wechseln und kann z.B. als genossenschaftliche Aktiengesellschaft weitergeführt werden.

Gerald Wiegner igenos e.V. / weitere Informationen auch unter Genossenschaftswelt und coopgo