Berlin, 3. Mai 2019 (geno). „In den Wohnungsmärkten brauchen wir deutlich mehr genossenschaftliches Denken. Die Stadt Wien hat über 100 Jahre einen hohen Anteil von Sozialwohnungen aufgebaut. Deshalb sind die Mieten heute deutlich günstiger als beispielsweise in München“. Das erklärte der Bundestagsabgeordnete der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Dieter Janecek, im Interview mit der Zeitung „Die Welt“, das am Freitag veröffentlicht wurde. Auf diese Weise könne Wien mehr Einfluss auf die Gestaltung der Wohnviertel nehmen. Da habe Deutschland in der Tat über Jahrzehnte hinweg versagt. Seine Landeshauptstadt München sei eine Stadt mit sehr wenig kommunalem Wohnungsbau. Deswegen seien die Preise sehr hoch.
Die Münchner können vom „Wohnen in Wien“ nur träumen. In der österreichischen Hauptstadt liegt die Durchschnittsmiete pro Quadratmeter bei privaten Neuvermietungen unter zehn Euro, bei öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungen sogar nur bei 7,60 Euro. Seit Herbst vergangenen Jahres gilt dort eine neue Bauordnung, die als zusätzlicher Paukenschlag bezeichnet wird. Danach darf bei Neubauwohnungen nur eine Nettomiete von fünf Euro pro Quadratmeter verlangt werden.
Die Zeitung führte das Gespräch mit Janecek, um die Position der Oppositionspartei zu den jüngsten Äußerungen des Chef der Jungsozialisten Kevin Kühnert über die Eigentumsverhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft in Erfahrung zu bringen. Die Antworten des Sozialdemokraten haben im deutschen Blätterwald sturmartiges Rauschen verursacht. Auf diese Weise schaffte es der Begriff „genossenschaftlicher Automobilbetrieb“ mehrfach auf die Titelseiten der bundesdeutschen Leitmedien als Echo auf ein Kühnert-Interview, das die Wochenzeitung „Die Zeit“ am Vortag veröffentlicht hatte. Darin hatte Kühnert sich klar für eine Kollektivierung großer Immobilienkonzerne und Industriefirmen ausgesprochen. Am Beispiel des Automobilherstellers BMW hatte er seine Zukunftsvorstellungen illustriert und gefragt, warum den Zehntausenden BMW-Beschäftigten das Unternehmen nicht zu gleichen Teilen gehört und sie nur mit einer aus Abhängigkeit heraus verhandelten Lohnsumme abgespeist werden. Die Nachfrage zu Details, ob er also keine Verstaatlichung, sondern eine Kollektivierung des Unternehmen wie BMW für richtig halte, bejahte der 29jährige Sozialdemokrat und ergänzte „auf demokratischem Wege.“ Wörtlich erklärte er dann: „Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW ’staatlicher Automobilbetrieb‘ oder ‚genossenschaftlicher Automobilbetrieb‘ steht oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht. Die Verteilung der Profite muss demokratisch kontrolliert werden. Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt. Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar“.
Die Aussagen Kühnerts hatten bereits nach ersten Vorab-Veröffentlichungen scharfe und äußerst kritische Reaktionen bis hin zu heller Empörung – teilweise in der eigenen Partei – ausgelöst. ++ (gn/mgn/03.05.19 – 086)
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