Wien/Marburg, 18. Januar 2019 (geno). Neben der allgemeinen Unkenntnis über Genossenschaften und deren Funktionsweise in der Bevölkerung gibt es gleichfalls einen solchen Mangel in den Führungs-Etagen von Wirtschaft und Politik. Das beklagt der renommierte Marburger Genossenschaftsforscher Prof. Hans-H. Münkner in einer 2018 herausgegebenen Festschrift zu Ehren seines Wiener Wissenschaftler-Kollegen Robert Schediwy.
Besonders gravierend seien die diesbezüglichen Wissensmängel bei den beratenden Berufsgruppen wie Unternehmens- und Steuerberater, Rechtsanwälten sowie in den Industrie- und Handelskammern. „In der akademischen Lehre besteht die Tendenz, Genossenschaften als Gegenstand des Unterrichts zu ignorieren“, kritisiert Münkner. Er verweist auf einige positive Beispiele im Ausland, wie das Interesse an genossenschaftlicher Zusammenarbeit bei der jungen Generation geweckt werden kann. Fernöstliche Länder leisteten dabei Mustergültiges. Am eindrucksvollsten gelinge das in Japan mit seinen Universitätsgenossenschaften. Ähnliches geschehe in Südkorea und Singapour. Generelles Ziel genossenschaftlicher Ausbildung müsse es sein, das Menschenbild des Homo Cooperativus als Gegenmodell zum Homo Oeconomicus zu popularisieren.
Die Zahl der japanischen Universitätsgenossenschaften ist seit 1975 von 138 auf nun mehr als 220 gewachsen. 1,54 Millionen Japaner sind Mitglied. Heute betreiben die Universitätsgenossenschaften in dem Inselstaat Geschäfte mit Büromaterial, Arbeits- und Sportkleidung, elektronischen Geräten und Büchern. Außerdem unterhalten sie Restaurants und Reisebüros sowie Sprach- und Versicherungsbüros. In Südkorea stieg die Zahl der Universitätsgenossenschaften sprunghaft von zwei auf 29. Aus einem 1989 eingerichteten Förderausschuss entstand 1999 der Verband der Universitätsgenossenschaften in Korea (KUCF). Die Mitgliederzahl stieg allein von 17.136 im Jahr 1994 auf 110.000 im Jahr 2011. In Singapour gibt es einen Sektor-Ausschuss für Campus-Co-operatives im nationalen Genossenschaftsverband (SNCF). Mitglied dürfen Schüler, Studenten, Lehrpersonal sowie Mitarbeiter von Oberschulen, Fachschulen und Universitäten werden. Die Teilnahme an Campus-Genossenschaften wird als Teil der Ausbildung anerkannt und mit Bonus-Punkten im offiziellen Bewertungssystem honoriert.
Ergänzend ist noch hinzuzufügen, dass die im spanischen Baskenland ansässige MONDRAGON Cooperative über eine eigene Universität verfügt. Bestandteil des Studiengangs ist immer auch die Gründung und aktive Mitarbeit in einer Genossenschaft.
++ (wt/mgn/18.01.19 – 013)
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Eine Anmerkung von Gerald Wiegner, igenos e.V.: Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat das Konzept des „Homo-Oeconicus“ beschrieben, der vorteilsorientierte, leicht egoistische Schnäppchenjäger. Ein Kind des frühen Neoliberalismus. Der Vater des Homo-Oeconomicus stammt aus der Epoche der Industrialisierung. Der nun entwicklungsbedingte Wertewandel führte im 19.Jahrhundert zur industriellen Konditionierung (Du sollst pünktlich, fleissig und strebsam sein). Als Belohnung gab es die soziale Mobilität. (Du kannst alles erreichen – vom Tellerwäscher zum Millionär). Der vom Homo-Oeconomicus abgeleitete Homo-Cooperativus ist dagegen viel älter. Laut Wilhelm Kaltenborn ist das kooperative Gen bereits in der Jungsteinzeit nachweisbar und endete mit der Auflösung der Großfamilie. Die neue Wettbewerbsgesellschaft führte zur Individualisierung (Der Beste oder Billigste bekommt den Job – die Arbeitskraft wird zur Ware). Heute, nachdem die Industrialisierung weitgehend abgeschlossen ist (im Zeitalter der Automatisierung und Digitalisierung) wird das neoliberale Wirtschaftsmodell (Freie Märkte für internationale Konzerne) zunehmend in Frage gestellt. Die alten Belohnungssysteme funktionieren nicht mehr. Neue Werte entwickeln sich. Es entsteht, vor allem in den Ballungsräumen, eine neue „Wandelbewegung“. Die zunehmende Digitalisierung wird diesen Prozess begünstigen, da nun auch eine globale Vernetzungen möglich ist. Open Source Software oder Platform-Cooperativen tragen bereits heute dazu bei.
1 Kommentar.
Jetzt kommt es darauf an, dass die neuen „Coop-Bilder“ (Projekte, Startups, etc.) entstehen, sich die diversen Initiativen „vernetzen“ und auf einer „Plattform“ – sozusagen als Multiplikatoren – offen in Erscheinung treten. „Hier sind wir“, die neuen, wirklich kooperativen Genossenschaften, die zeigen, dass man über die „alte“ Idee von Herrn Raiffeisen durchaus hinausgehen kann, eigentlich sollte, wahrscheinlich sogar muss. …