Hamburg/Berlin, 15. Januar 2019 (geno). „Wir wollten anfangs keine Folklore einreichen. Außerdem wollten wir etwas innovativ sein. Und zeigen was alles unter Kultur zu verstehen ist.“ Das erklärte der Vorsitzende des nationalen Expertenkomitees Immaterielles Kulturerbe und zugleich Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommision, Prof. Christoph Wulf, gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in dessen aktueller Ausgabe über die Auswahlkriterien für die repräsentative UNESCO-Liste des immateriellen Weltkulturerbes. Und das treffe eben auf die Genossenschaften zu, die dann auch als erster deutscher Vorschlag von einer internationalen Jury in dieses globale Krönungsregister der Weltkultur aufgenommen wurden. Das war in Addis Abeba im November 2016.
Die Ernennung des Genossenschaftswesens zum Weltkulturerbe ist eine hohe Auszeichnung, die aber auch durchaus kontrovers diskutiert wurde. Stehen Raiffeisen Genossenschaften unter UNESCO-Schutz – weil unsere Genossenschaftsidee bedroht ist?
Inzwischen hat Deutschland weitere Kulturgüter auf der renommierten Liste platzieren können. Zum Beispiel den Orgelbau, die Falknerei und jüngst die Handwerkstechnik des Blaudrucks. Er wurde im Dezember vergangenen Jahres bei der Jurysitzung auf Mauritius als vierter deutscher Vorschlag gekürt. Offensichtlich hatten und haben die Deutschen und ihr spiritus rector Wulf bei ihren nationalen Auswahlverfahren und deren Gewinnern ein glückliches Händchen. Spiegel-Autor Christopher Piltz berichtet anerkennend über die Tage auf der Insel im Indischen Ozean: „Für Deutschland waren es gute Tage auf Mauritius. Mehrmals wurden Wulf und die anderen Delegierten auf die anderen deutschen Eintragungen angesprochen, vor allem auf die der Genossenschaften. Sie gilt unter Experten inzwischen als vorbildlich. Sie habe den Kulturbegriff erweitert, sagt das Unesco-Sekretariat. Gezeigt, dass Kultur viel mehr ist als Tanz und Handwerk, Sprache und Rituale. Die Art und Weise, wie wir uns entscheiden, miteinander zu leben, ist schon Kultur.“ Ein amerikanischer Ethnologe habe während der Konferenz einem deutschen Delegierten gesagt, dass er seit Jahren den Umgang Deutschlands mit der eigenen Kultur beobachtet. Er sei überrascht, wie souverän Deutschland inzwischen damit umgehe. Tags darauf hätten sich Gesandte aus Kolumbien, Kenia, Luxemburg, den Philippinen und den Niederlanden um Christoph Wulf versammelt, der die nächsten internationalen Nominierungen plant. Es geht um das Hebammenwesen – zugegebenermaßen ein schwieriges Unterfangen.
Abschließend weist Wulf auf mancherlei politische Brisanz deutscher Traditionen hin. Er sei stolz, dass „wir es schaffen, die Deutungshoheit über Brauchtümer wiederzugewinnen, die von den Nazis vereinnahmt worden sind“. Manche Brauchtümer hätten eine jahrhundertealte Geschichte, die nicht dauerhaft geächtet werden dürften. Angesichts dieser Erkenntnis wartet die vielgelobte Genossenschaftsidee innerhalb Deutschlands dringend auf ein Erweckungs-Erlebnis. Gründliche Nacharbeit tut not. Das gilt zum Beispiel für den von den Nationalsozialisten eingeführten Prüfungszwang von Genossenschaften, der bis in die Gegenwart nicht abgeschafft worden ist, viele Kooperativen stark belastet und zum Schrumpfen der Genossenschaftsbewegung beiträgt. ++ (ku/mgn/15.01.19 – 010)
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