Hamburg/Berlin, 18. Dezember 2018 (geno). „Genossenschaft von unten“ ist eine basisdemokratische Bewegung, die in Deutschland an Fahrt gewinnt. Zu den Vorreitern solcher Initiativen gehören die Mitglieder von Berliner Wohnungsgenossenschaften, die 2018 das zehnjährige Bestehen ihrer Initiative begangen haben. Das taten sie auch feierlich im Schöneberger Rathaus, in der seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Freiheitsglocke geläutet wird. Unter diesem symbolträchtigen Signum wollen sie weiter und verstärkt um die innergenossenschaftlichen Freiheiten ringen. Diese eine Kooperative prägenden Eigenschaften sind nämlich in den vergangenen Jahrzehnten regelrecht unter die Räder gekommen. Zwischen der Masse der Genossenschaftsmitglieder und ihren Leitungsgremien – Vorstände und Aufsichtsräte – hat sich der Spaltpilz ausgebreitet. Viele Meinungsverschiedenheiten, soweit sie überhaupt zur Sprache kommen, werden inzwischen sogar vor Gericht ausgetragen. Vertrauen, das eigentlich in einer Genossenschaft die tragende Säule bilden müsste, ist verloren gegangen. Die Prinzipien Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung sind zwischen den Mühlsteinen des Neoliberalismus zerrieben worden. Es herrschen Intransparenz, Passivität und Ideenlosigkeit. Die Fundamente genossenschaftlichen Zusammenwirkens haben stark gelitten und sind sehr brüchig geworden. Schon wer diese Grundmängel anzusprechen wagt, wird nicht selten diskreditiert, unter Druck gesetzt oder sogar aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.
All das kennen die „Genossenschafter von unten“ aus eigenem Erleben. Sie wollen ihre Vereinigungen im ursprünglichen kooperativen Geist wieder revitalisieren. Zunächst im Dialog mit den Leitungsgremien. Wenn das nicht funktioniert ohne die alte Führungscrew, dann eben mit einem neugewähltem Spitzenteam – so wie es der Jenaer Wohnungsbaugenossenschaft „Carl Zeiss“ gelungen ist. Die Basis-Genossenschafter wollen sich zudem überregional vernetzen und in einen nützlichen Erfahrungsaustausch treten. Auf diese Weise ist durch einen Impuls aus Berlin die Hamburger „Genossenschaft von unten“ entstanden. Sie feiert in diesen Tagen ihr einjähriges Gründungsjubiläum. Dass die Neugeburt quicklebendig ist und starken Zulauf hat, beweisen ihre unter starker Unterstützung des Hamburger Mietervereins entfalteten Aktivitäten. Das sieht sehr konkret aus. So haben sich sieben Arbeitsgruppen gebildet. Ihre Schwerpunkte sind beispielsweise Mitbestimmung, Nutzungsentgelte und Genossenschaftsrecht. Das Echo ist enorm. Auch in anderen Städten gibt es vernehmbaren Widerhall. Dresden und München gehören dazu. Auch die bundesweite Interessengemeinschaft „Genossenschaft von unten“ igenos verzeichnet zunehmende Aufmerksamkeit.
Aus diesem Blickwinkel ist auch dem in diesem Jahr so oft gedachten Genossenschaftspionier Friedrich Wilhelm Raiffeisen zu seinem 200. Geburtsjubiläum nicht nur eine Ehrenschleife verpasst worden, sondern es wurde vor allem in seinem Sinne gehandelt. Ähnlich hatte es der Dichter Bertolt Brecht in seinen Versen über die Seidenweber von Kujam Bulak empfohlen. Anstatt ein Lenin-Denkmal zu errichten, sollten sie für das aus dem fernen Moskau zur Verfügung gestellte Geld lieber Petroleum kaufen, um die sie täglich plagenden Mücken in den nahen Sümpfen zu bekämpfen. Sie taten das und „ehrten Lenin, indem sie sich nützten“. ++ (gd/mgn/18.12.18 – 244)
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