Rom/Bozen, 11. Oktober 2018 (geno). Ein neues, Anfang Oktober erschienenes Buch macht neugierig und lässt einen lehrreichen Blick in den italienischen Kosmos kreativer Genossenschaftsmodelle erwarten. Zugleich schließt das in der Schriftenreihe der Hamburger Heinrich-Kaufmann-Stiftung erschienene Werk eine empfindliche Lücke, denn der deutschen Leserschaft sind die „cooperative“ in Italien mit ihrem sozialen Touch und ihren innovativen Unternehmenslösungen zwar als interessante Artgenossen bekannt, aber für eine weiterreichende, vergleichende Analyse fehlten bisher Bücher in deutscher Sprache. Autor ist Oscar Kiesswetter, ein exzellenter Kenner der kooperativen Szenerie auf der Apenninen-Halbinsel. Für das Vorwort zeichnet Prof. Susanne Elsen von der Universität Bozen verantwortlich, deren Sachkenntnis über das italienische Genossenschaftswesen allseits bekannt ist und geschätzt wird.
Der Titel „Genossenschaften Made in Italy – Ein Erfolgsmodell“ nimmt die Schlussfolgerung vorweg, die Kiesswetter mit vielen Argumenten belegt und anhand zahlreicher Beispiele erläutert. Die genossenschaftliche Unternehmensform ist in Italien ein erfolgreiches Modell. Sie ist in sämtlichen wichtigen Wirtschaftsbereichen sowie auch in intellektuellen Berufsbranchen vertreten. Zeitgemäße Kooperationsformen und Netzwerke sind entstanden. Eigene Mutualitätsfonds wurden entwickelt, die als innovative Finanzinstrumente mit den Gewinnen bestehender Genossenschaften vor allem junge Unternehmen fördern. Deren Arbeitsplätze haben sogar die jüngsten Krisenjahre überstanden und mit neuen „worker’s buy out“ werden zahlreiche insolvente Betriebe vor dem Untergang gerettet und als Genossenschaften weitergeführt. Die Kooperative bietet sich gewissermaßen als universelles Auffangnetz stark in ihrer Existenz gefährdeter oder bereits abstürzender Betriebe an. Das dürfte den jeweils betroffenen Mitarbeitern auch in hoffnungsloser Unternehmenslage eine Art Grundvertrauen vermitteln.
Über all dem schwebt der in der italienischen Verfassung verankerte Artikel 45, der dem Genossenschaftswesen des Landes mit juristischer Heiligsprechung geradezu traumhafte Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Er lautet: „Die Republik erkennt die soziale Aufgabe des Genossenschaftswesens an, sofern es nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit und ohne Zwecke der Privatspekulation aufgebaut ist. Das Gesetz fördert und begünstigt mit den geeignetsten Mitteln seine Entfaltung und sichert durch eine zweckdienliche Aufsicht seine Eigenart und Zielsetzung.“
Der Autor schreibt bewusst für das ausländische, deutschsprachige Lesepublikum und geht auf jene Eigenheiten ein, die im grenzüberschreitenden Vergleich besonders relevant sind. Er erörtert zum Beispiel die effiziente und kostengünstige Revision, die auch ohne Verbandspflicht gewährleistet ist. Genau das dürfte kritische Genossenschafter in Deutschland schlagartig aufmerken lassen, denn dies ist für bestehende und potentielle deutsche Genossenschaften nicht nur ein Ärgernis, sondern ein regelrechtes Hemmnis.
Kiesswetter erläutert ausführlich das Sondermodell der Sozialgenossenschaften, die mit ihren Diensten die sozialen Leistungen der öffentlichen Hand wirksam ergänzen und benachteiligte Menschen in den Arbeitsmarkt eingliedern. Er geht auch auf die jüngste Neuerung der italienischen Bewegung ein, die sich „cooperative di comunita“ nennen. Sie stellen ganze Gemeinschaften in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit und zwar solche, die ohne die Selbsthilfe der Einwohner wegen der benachteiligten Lage, der Strukturschwäche oder der Abwanderungsgefahr nicht weiter über Wasser gehalten werden könnten.
Die Multifunktionalität des Buches wird dadurch komplettiert, dass es sich als nützliches Nachschlagewerk erweist. Es enthält die zivilrechtlichen Bestimmungen zum Genossenschaftswesen und zahlreiche Gesetzestexte in zweisprachiger Version und in geltender Fassung. Es empfiehlt sich daher als Standardwerk und Lehrbuch für das Studium sowie die Aus- und Weiterbildung im genossenschaftlichen Sektor.
Oscar Kiesswetter, Betriebswirt und ehemaliger Vorstand des Südtiroler Genossenschaftsverbands LEGACOOP ist heute als Wirtschaftspublizist und Berater tätig. Er berät Genossenschaften in der Gründungsphase und schult deren Führungskräfte. Aktueller Schwerpunkt seiner Arbeit ist die grenzüberschreitende Verbreitung des Wissens zur besonderen sozialen Funktion italienischer Genossenschaften. Als Geschäftsführer der Genossenschaft für soziale Innovation und Forschung SOPHIA hat er eine Institution für angewandte Forschung aufgebaut, die innovative Lösungen in der Sozialwirtschaft und zukunftsfähige Muster für neue Solidargemeinschaften entwickelt. Die auf Forschung und Projektmanagement ausgerichtete SOPHIA firmiert ebenfalls als Genossenschaft. SOPHIA vermittelt ein breites Wissensspektrum über den italienischen Kosmos kreativer Genossenschaftsmodelle.
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2 Kommentare.
[…] Kinderbetreuung in der Coronazeit. Die GenoNachrichten berichten in regelmäßigen Abständen aus Südtirol, vor allem weil sich das italienische Genossenschaftsgesetz und die genossenschaftliche Verbandsstruktur deutlich von den Gegebenheiten in Deutschland unterscheiden. Wir können in Sachen Genossenschaft von unseren europäischen Nachbarn noch viel lernen. […]
[…] oder die nachhaltige Erschließung und Nutzung des Lebensraums,” so Kiesswetter. Sein gerade erschienenes Buch “Genossenschaften – Made in Italy” ist ein Erfolgsbericht und ein Füllhorn der genossenschaftlichen Kreativität auf der […]