St. Gallen/Zürich, 17. September 2018 (geno). „Wo Genossenschaft drauf steht, soll auch Genossenschaft drin sein – so könnte man die überraschende Nomination von Guy Lachapelle zusammenfassen. Sie lässt den Willen erkennen, die aus den angestammten Gemarkungen ausgebrochene Raiffeisen Schweiz an die kurze Leine zu nehmen und zu ihren genossenschaftlichen Wurzeln zu führen“. Mit derart markigen wie deutlichen Worten kommentiert am Montag Ermes Gallarotti in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) die aktuellen Vorgänge um den Führungswechsel im genossenschaftlichen Bankensektor der Schweiz. Die lange Jahre vernachlässigten Raiffeisenbanken sollen und wollen in der St. Gallener Zentrale wieder mitreden und mitentscheiden. Es gilt eine Jahrzehnte währende Fehlentwicklung zu stoppen, das Steuer aus eigenem Reformwillen geradezu um 180 Grad herumzureißen und einen Neustart auf urgenossenschaftlicher Wertebasis einzuleiten.
Seit der Affäre um Bankenchef Pierin Vincenz, die vor einem halben Jahr mit dessen Verhaftung begann, hatten sich die Ereignisse mehrfach überschlagen. Die Raiffeisen-Zentrale in St. Gallen befand sich in ununterbrochenem Krisenmodus. Die Herkulesaufgebe besteht laut NZZ nunnmehr darin, die Ära Vincenz, die auch von den Strafverfolgungshörden untersucht wird, bankintern aufzuarbeiten und parallel dazu fast die gesamte Bankführung auszuwechseln. Die Schweizer Bankenaufsichtsbehörde Finma war zu dem Schluss gekommen, dass die Kontrollmechanismen innerhalb der Bank in der Vergangenheit an mehreren Stellen versagt hatten.
Gallarotti umreißt die Situation unter der Überschrift „Zurück in die Zukunft“ kurz und treffend: „In der Ära Vincenz hatte die St. Gallener Zentrale die Eigentümerverhältnisse faktisch umgekehrt. Nicht die 246 Raiffeisenbanken kontrollierten ihre St. Gallener Tochter, sondern die von Vincenz dominierte Raiffeisen Schweiz war es, die ihren Eigentümerbanken den Takt vorgab. Mit der Ernennung von Lachappelle haben die im Nominationsprozess tonangebenden sechs Regionalverbandspräsidenten ein deutliches Signal gesetzt: Die lange Jahre vernachlässigten Raiffeisenbanken wollen in St. Gallen wieder mitreden und mitentscheiden. In dieses Bild fügt sich der Umstand ein, dass beruflich in einer Grossbank gross gewordene Kandidaten kaum eine Chance hatten, nominiert zu werden. Die unternehmerisch derzeit sehr erfolgreichen Raiffeisenbanken fühlen sich stark genug, um im Wettbewerb aus eigener – genossenschaftlicher – Kraft bestehen zu können. Und aus ihrer Sicht brauchen sie keinen kulturell anders sozialisierten Präsidenten, der ihnen vormacht, wie man draussen in der ‚richtigen‘ Bankenwelt ein Unternehmen erfolgreich führt. Da prallen zwei unterschiedliche Welten zusammen. Etliche Anwärter mit einem Grossbanken-Hintergrund haben denn auch ihre Kandidatur zurügezogen.“
Der so aus einer Notlage heraus in Bewegung gekommene Reformprozess in der genossenschaftlichen Bankenlandschaft der Schweiz dürfte im Ausland aufmerksam beobachtet werden. Der Genossenschaftsklassiker Friedrich Wilhelm Raiffeisen, dem weltweit, in Europa und in Deutschland in diesem, seinem 200. Geburtsjahr zahllose Lobeshymnen gesungen und Erinnerungveranstaltungen gewidmet werden, gewinnt auf diese Weise brennende Aktualität. Der bevorstehende Umbruch in der Schweiz sollte Gremien und Mitglieder im genossenschaftlich organisierten Finanzwesen andernorts nachdenklich machen und zu selbstkritischen Untersuchungen veranlassen. Auch Deutschlands Genossenschaftsbanken und deren Verbände, die ihrem Landsmann Raiffeisen im Jubiläumsjahr wohllkingende Reminiszenzen angedeihen lassen, benötigen einen solchen analytischen Blick auf sich selbst und in ihr Innenleben. Daran mangelt es gravierend. Ein solches Drama, das bei den Eidgenossen nun wohl doch nicht katastrophal endet und wahrscheinlich in einer zukunftsträchtigen Lösung mündet, wäre für Deutschlands Genossenschaftsbanksektor ein kaum vorstellbarer Höllenritt. ++ (rf/mgn/17.09.18 – 185)
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[…] die Eigentümer, also die 246 Raiffeisenbanken, entscheiden”. Das erklärte der neugewählte Präsident von Raiffeisen Schweiz, Guy Lachappelle, in einem Interview, das am Dienstag in der “Neuen Zürcher Zeitung” (NZZ) […]