Havanna, 23. Juli 2018 (geno). Genossenschaften und ihre Förderung erhalten im neuen Grundgesetz von Kuba Verfassungsrang. Kooperativen sind in dem Erstentwurf für die neue Verfassung als fester Bestandteil enthalten. Am Montag diskutieren die 605 Abgeordneten der Nationalversammlung nach dreitägigen Beratungen abschließend. Bis zum Sonntagabend hatten sich nach Angaben der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina 105 Volksvertreter zu Wort gemeldet. Die vom Parlament unterbreiteten Vorschläge werden dann in Betrieben, Verwaltungen und Universitäten sowie in Städten und Gemeinden zur Erörterung vorgelegt. Dort noch eingebrachte Veränderungen benötigen mindestens eine Mehrheit von zwei Dritteln der parlamentarischen Volksvertretung, um in das Dokument aufgenommen zu werden. Erst dann wird der modifizierte Verfassungsentwurf der gesamten kubanischen Bevölkerung präsentiert, um in einem Volksentscheid das Grundsatzdokument zu verabschieden und endgültig in Kraft zu setzen.
Nach Angaben der größten Tageszeitung des Inselstaates „Granma“ soll mit der Verankerung von Genossenschaften und nichtstaatlichem Eigentum ein Rechtsrahmen für den vor etwa zehn Jahren eingeleiteten Prozess der Zulassung kleiner und mittlerer Privatbetriebe gesetzt werden. Sie sollen ergänzenden Charakter haben. Allerdings bleiben die strategisch wichtigen Wirtschaftssektoren in staatlicher Hand. Weitere bemerkenswerte Passagen in Kubas neuer Verfassung sind der „Schutz und der Erhalt der Umwelt“ und die „Verpflichtung zur Bekämpfung des Klimawandels“. Sie könnten weltweit Modellcharakter bekommen.
Die derzeit noch gültige Verfassung, die 1976 per Volksentscheid angenommen sowie 1992 und 2002 in Teilen reformiert wurde, entspricht nach Aussage von Staatschef Miguel Diaz-Canel nicht mehr den aktuellen Erfordernissen. Ein Blick in die kubanische Geschichte zeigt, dass Kooperativen erstmals in der Verfassung von 1940 erwähnt werden. Fidel Castro Ruz hat nach dem gescheiterten Sturm auf die Moncada-Kaserne im Oktober 1953 in seinem berühmten Plädoyer „Die Geschichte wird mich freisprechen“ konstatiert, dass genossenschaftliches Eigentum integraler Bestandteil einer Agrarreform sein müsse. Als nach der Machtübernahme durch Castro 1959 tatsächlich die Agrarreform kam, wurden vor allem auf den enteigneten Zuckerrohrplantagen Kooperativen gegründet. So bewirtschafteten im Jahr 1961 auf 876.142 Hektar Land 621 Zuckerrohr-Kooperativen (CC). Die meisten von ihnen wurden Mitte der 60er Jahre wegen Fehlentwicklungen wieder aufgelöst und in sogenannte Volksgranjas verwandelt. Sie waren kein freiwilliger Zusammenschluss mehr, sondern eher Agrarfabriken.
Anfang der 70er Jahre entstanden die ersten Kredit- und Dienstleistungsgenossenschaften (CCS). Heute gibt es rund 2.500 CCS, in denen mehr als 350.000 Mitglieder organisiert sind. Ab 1974 setzte eine Gründungswelle von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (CPA) ein. Davon gibt es heute noch rund 1.000 mit 54.000 Mitgliedern. CPA und CCS sind per Gesetz demokratisch organisiert und verfügen über mehrere Formen der Partizipation. Dazu gehört monatlich eine Generalversammlung. Die jüngste Form einer Kooperative im Agrarbereich ist die „Basiseinheit genossenschaftlicher Produktion“ (UBPC). Sie wurde 1993 in der wirtschaftlich besonders prekären Phase aus der Taufe gehoben. Mit ihr sollten Nahrungsmittelengpässe abgefedert werden und dezentral Lebensmittel erzeugt werden. Dazu wurden brachliegende Flächen oder ineffiziente „Volksgranjas“ an Menschen übergeben, die dann eine Kooperative gründeten. In ihnen stand die Selbstversorgung biologisch nachhaltiger Lebensmittel im Vordergrund. Gegenwärtig gibt es insgesamt etwa 6.200 CPA, CCS und UBPC, in denen knapp 580.000 Arbeiter tätig sind und 77 Prozent aller kubanischen Agrarprodukte hergestellt werden. Außerhalb der Landwirtschaft existieren in Kuba 498 Kooperativen in nahezu allen Produktions- und Service-Bereichen. Beispielweise in der Fischerei, der Hotellerie, im Handwerk, im Transport- und Bausektor. ++(cu/mgn/23.07.18 – 143)
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