Genossenschaftsautonomie – Berlin, 26. Juni 2018 (geno). Von den in den frühen 90er Jahren In Berlin besetzten Häusern sind gegenwärtig noch mehr als 100 in „alternativer Hand“. Viele der ehemals okkupierten Gebäude haben sich zu Gemeinschaften mit günstigen Mieten entwickelt, schreibt die Zeitung „neues deutschland“ (nd) am Dienstag. Nur zwei der 100 seien in ihrer Existenz bedroht. Wie die teilweise mit Militanz und Brachialgewalt eroberten und verteidigten Quartiere Schritt für Schritt legalisiert wurden, erörtert die Tageszeitung anhand von Beispielen: „1990 wurde die Scharnweberstraße 29 in Friedrichshain im Zuge der Besetzungen in der nahe gelegenen Mainzer Straße mitbesetzt. Der Zustand war schlecht, das Haus war noch in der DDR zum Abriss vorgesehen. Besetzer aus der Mainzer Straße hatten es bereits ausgeschlachtet, um die Einbauten für andere Häuser zu nutzen. Im Mai 1990 zogen eine Handvoll Menschen in das Haus ein. Möbel und Hausrat fanden sie auf der Straße.“ Interviewte damalige Bewohner berichteten, dass sie sich damals bei der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) als Besetzer gemeldet haben. Die Verwalter hätten sich dafür kaum interessiert. Ihnen sei viel wichtiger gewesen, dass die in der DDR üblichen Hausbücher gewissenhaft geführt werden. Nachdem sie die manchmal kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Besetzern und Polizei hinter ihrem verbarrikadierten Haus unbeschadet überstanden hatten, erhielten sie bei späteren Verhandlungen mit der WBF reguläre und gültige Mietverträge. Heute wohnen in der „Scharni29“ 16 Menschen, von denen keiner mehr zu den ursprünglichen Besetzern gehört. 2001 erwarb ein Privateigentümer das Gebäude, der 2007 gegen den Willen der Mieter sanierte. Es wurden neue Verträge abgeschlossen, aber mit gedeckelten Mietpreisen. Seitdem gibt es Abmahnungen, Kündigungen und Klagen. Mittlerweile haben 15 Mietrechtsprozesse stattgefunden. Die Zukunftsangst wächst, weil in zehn Jahren der Bindungszeitraum endet und die Mieten massiv steigen können.
In der Friedrichshainer Liebigstraße 34 leben 40 Bewohnerinnen. Sie sind mit dem Privateigentümer einen Pachtvertrag eingegangen, der ihnen eine hohe Autonomie zusichert. Der Kontrakt läuft Ende dieses Jahres aus. Sorge um das „anarcha-queerfeministische“ Hausprojekt macht sich nun breit. Über die weitere Proteststrategie ist die Bewohnerschaft uneins. Einfach kapitulieren wollen sie zumindest nicht.
Die besten Zukunftsaussichten haben dagegen genossenschaftlich organisierte Wohnmodelle. Zum Beispiel wurden die Hausgemeinschaften in den ehemals besetzten und ab 1996 von der Selbstverwalteten Ostberliner Genossenschaft (SOG) gekauften Häusern in der Kreutziger- und Rigaer Straße mittels des Landesprogramms „Bauliche Selbsthilfe“ ertüchtigt, die Häuser selbst zu sanieren. Ein Drittel der Baukosten kamen vom Land. Ein weiteres Drittel wurde durch ein zunächst zinsfreies und später zinsgünstiges Darlehen der Investitionsbank Berlin realisiert. Das restliche Drittel musste durch Eigenleistungen erbracht werden. Die Häuser gehören neben der SOG, dem Freiburger Mietshäusersydikat oder anderen Genossenschaften. Während diese Wohnkollektive über ihre Geschicke weitgehend selbst befinden können und die Mietpreise dauerhaft niedrig sind, explodieren wenige Straßenecken weiter die Mieten regelrecht. Familien finden dort kein Zuhause mehr. ++ (wg/mgn/26.01.18 – 124)
www.genonachrichten.de, www.genonachrichten.wordpress.com, www.genossenschaftsnachrichten.wordpress.com, e-mail: mg@genonachrichten.de, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), tel. 0176 / 26 00 60 27