Rojava, 8. Mai 2018 (geno). „Im ganzen Mittleren Osten herrscht Kapitalismus. Aber als Alternative dazu bauen wir als Aktivisten des Demokratischen Konföderalismus gerade eine demokratisch-gesellschaftliche Ökonomie auf. Das funktioniert vor allem über Kooperativen, also Genossenschaften.“
Das erklärte Resat Kaymaz, Vorstandsmitglied in der „Union der Kooperativen Rojavas“ (Y.K.R.) in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung „neues deutschland“ (nd). Je mehr Genossenschaften aufgebaut werden, umso stärker werde der Kapitalismus eingeschränkt. Es soll ein eigener Markt entstehen und der kapitalistische Markt immer stärker schrumpfen. Kaymaz schildert, wie dieses Genossenschaftsnetzwerk in Nordsyrien funktioniert. „Wir führen Versammlungen durch, dort werden Vorschläge gesammelt und daraus Projekte entwickelt. Diese setzen wir auf vier Grundlagen basierend um: Handel, Industrie, Landwirtschaft und Tierzucht. Darüber hinaus gibt es eigene Frauenkooperativen, in denen ausschließlich Frauen entscheiden. Alle Kooperativen hier sind an das Rätesystem und die demokratische Selbstverwaltung angebunden. Es gibt Kommunen, Räte, Akademien. Gemeinsam mit diesen bauen wir die Kooperativen auf. Die Kommunen entscheiden selbst darüber, wie sie ihre ökonomischen Probleme zu lösen versuchen. In den Akademien werden die Menschen ausgebildet, um die beschlossenen Projekte umzusetzen und die Kooperativen ins Leben rufen zu können.“ Beispielsweise gebe es Genossenschaften, die sich um die Stromversorgung kümmern. Bäckereigenossenschaften und Wassergenossenschaften sicherten die Grundversorgung mit Brot und Wasser. Landwirtschaftliche Genossenschaften, die aus jeweils 30 bis 60 Familien bestehen, bearbeiten Boden, der den Kantonen Cizire oder Kobane gehört. Den Ertrag können sie größtenteils behalten. Ein kleinerer Teil geht an die Selbstverwaltung. Zudem gebe es Genossenschaften für Klamotten, Getränke und vieles andere mehr. Inzwischen sei sogar eine Helva-Fabrik eröffnet worden, die von 150 Familien betrieben wird und die im Mittleren Osten beliebten Süßspeisen herstellt. In der Hevgirtin-Handelsgenossenschaft seien sogar 4.000 Familien organisiert. Außerdem existierten Rinder-, Schafs-, Enten-, Puten- und Hühnergenossenschaften. In Shedada produziere eine Genossenschaft Salz. Die früher der syrischen Regierung unterstellten Baumwollfarmen seien jetzt ebenfalls in Genossenschaften umgewandelt worden.
Am Beispiel von Hevgirtin und dem Produkt Zucker demonstriert Kaymaz die Vorteile genossenschaftlicher Handelstätigkeit in Nordsyrien. Zucker sei früher nur auf dem kapitalistischen Markt zu bekommen gewesen. Er stamme aus anderen Ländern und komme als Importware. Ein Sack habe früher normalerweise etwa 14.000 syrische Lira gekostet und sei dann plötzlich auf bis zu 60.000 Lira im Preis hochgeschnellt. In Reaktion dessen habe Hevgirtin dann selbst Zucker in größeren Mengen importiert und den Sackpreis auf 13.000 syrische Lira drücken können.
Nach den Worten des Genossenschafters kann sich in die Arbeit der Kooperativen nicht einmal die Selbstverwaltung einmischen. Die Kräfte der Anti-IS-Koalition hätten ebenfalls nicht die Befugnis, sich in diese Dinge einzumischen. Es gebe einen freien Markt, auf dem jeder arbeiten kann. Beispielsweise habe der internationale Kooperativenverband die Region besucht und es wurde über gemeinsame Konzepte diskutiert. Ziel sei, „die Vorherrschaft der Monopole zu brechen.“ Niemand dürfe sich auf Kosten der Gesellschaft bereichern können. So lange das beachtet werde, könne jeder hierherkommen und arbeiten.
Bisher wurden in Nordsyrien etwa 170 Genossenschaften gegründet, die insgesamt rund 100.000 Mitglieder haben. Bei vier Millionen Einwohnern ist damit der Umfang der Kooperativwirtschaft noch erheblich ausbaufähiger. ++ (sy/mgn/08.05.18 – 091)
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