Leipzig, 23. April 2018 (geno). Das Raiffeisen-Gedenkjahr 2018 strebt seiner Halbzeit zu. Der 30. März als 200. Jubiläumsgeburtstag des Genossenschaftspioniers Friedrich Wilhelm Raiffeisen und vermeintlich eigentlicher Höhepunkt des Gedenkens ist vorbei. An der zentralen Festveranstaltung in Mainz war nicht einmal der Schirmherr, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, präsent. Die Hinderungsgründe sind unbekannt.
Die vor allem von den deutschen Genossenschaftsverbänden und der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft organisierte, gewiss auch kostenträchtige PR-Kanonade ist bisher ohne nennenswerte Wirkungstreffer geblieben.
Auch Bekenntnisse und Reden aus der Politik, der Wirtschaft und der Kultur klingen halbherzig. Wohl weil die genossenschaftliche Wirklichkeit an verschiedenen stimmungsdämpfenden Symptomen krankt. Sie müssten ausgemerzt werden, um die genossenschaftliche Trendwende herbeizuführen. Aber es passiert nichts. Es gibt zwar eine offenbar reibungslose Zusammenarbeit zwischen Politik und sich selbstverwaltenden Genossenschaftsverbänden, jedoch fehlt die Bindung zu den rund 22 Millionen Genossenschaftsmitgliedern an der Basis.
Ganz im Gegenteil. Wer näher hinschaut, nimmt eine zunehmende Distanz und Schweigsamkeit zwischen Mitgliedschaft einerseits und Leitungsgremien – Vorständen und Aufsichtsrat – sowie Verbänden andererseits wahr. Die Kommunikation ist eingetrübt oder ganz eingestellt. Es herrscht Gleichgültigkeit. Dort wo Verbalien ausgetauscht werden, geschieht das schlimmstenfalls auf juristischer Ebene. Streitigkeiten haben sich dann derart verhärtet, dass sie vor Gericht ausgetragen werden. Häufig agieren im Genossenschaftsrecht wenig kundige Rechtsanwälte und Richter, was die Zwietracht zusätzlich befeuert. Dabei geht es nicht um Kleinigkeiten wie Nachbarschaftszwist, sondern um für Genossenschaften und Zivilgesellschaft höchst gewichtige Generalfragen wie demokratische Mitbestimmung, die Praxis des genossenschaftlichen Förderauftrags oder die immer noch unbeachteten Restbestände nationalsozialitischer Gesetzgebung in der heute noch geübten Rechtsprechung.
Auf diesem Gebiet gehen weder Genossenschaftsverbände noch Politik in eine zukunftsbildende Offensive, sondern huldigen in äußerst abstrakter und wolkiger Weise der Genossenschaftsidee, die von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe geadelt worden ist. Es manifestiert sich eine teils schauerliche und fragwürdige Erinnerungskultur, die lediglich an der Oberfläche plätschert. So lautet eine offiziell ausgegebene Werbelosung: „Lassen Sie sich begeistern und begeistern Sie andere.
Zum 200. Geburtstag von Raiffeisen werden die Erinnerungen an sein Werk und seine Genossenschaftsidee ganz neu lebendig.“ Tatsache ist aber, dass über Raiffeisen weder auf Grund-, Haupt,- Mittel- Ober- oder Hochschulen etwas vermittelt wird. Es handelt sich um Spezialwissen einiger weniger.
Auch dieses gesellschaftliche „Sumpfgebiet“ auszutrocknen, traut sich kaum jemand. Unter dem Oberbegriff „Genossenschaft von unten“ gibt es inzwischen eine Reihe von Initiativen – die sich für die Belange der Genossenschaftsmitglieder einsetzen. Unter dem Mikroskop betrachtet mutiert die proklamierte „Entdeckungsreise durch die großartige Welt der Genossenschaften“ zu einem ziemlich grauen Untersuchungsgegenstand. Als besonderes Trauerspiel erweisen sich in einer solchen Tiefenanalyse viele Genossenschaftsbanken.
Hoffnung bleibt dennoch. Die diesjährige Raiffeisen-Kanonade könnte in Anlehnung an die Kanonade von Valmy im Jahr 1792 doch noch zum Siegeszug werden. Denn Johann Wolfgang von Goethe gelangte nachweislich auch erst 30 Jahre später zu der berühmten Formulierung „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen.“ Das ist ein zukunftsfroher Appell an die Generation der Enkel. ++ (hi/mgn/23.04.18 – 081)
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