Berlin/Leipzig, 30. November 2017 (geno). Vor genau einem Jahr bestieg die Genossenschaftsidee den kulturellen Olymp dieser Welt. Sie wurde in die repräsentative Liste der UNESCO des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen. Warum das so plötzlich geschah und zudem noch auf Vorschlag der Deutschen, die überhaupt zum ersten Mal für dieses fürstliche und ehrenwerte Register Empfehlungen geben durften, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Um die Krönungsmesse im afrikanischen Addis Abbeba letztlich erfolgreich zu gestalten, hatte es im Vorfeld viel diplomatischer Schwerstarbeit bedurft. Wenn direkt vor Ort Beteiligte aus dem Nähkästchen plaudern, wird das deutlich. Und auch die Folgemonate zeigten, wie problematisch dieser Platz auf dem Thron des Weltkulturerbes eigentlich ist. Es ist einerseits eine leidenschaftliche Auseinandersetzung um die Berechtigung dieses Spitzenplatzes ausgebrochen und andererseits hat sich eine eigentümliche Gleichgültigkeit demgegenüber eingeschlichen – je nach Position der Akteure.
Ein großer Teil von ihnen hat sich bisher gar nicht klargemacht, warum es diese Liste überhaupt gibt und was sie bewirken soll. Es stellt sich nämlich bei näherem Hinsehen heraus, dass die registrierten Platzinhaber in höchster Gefahr schweben und ihre Weiterexistenz stark gefährdet ist. Übersetzt heißt das: die Genossenschaftsidee ist so schwach geworden und muss nun mit äußerster öffentlicher Aufmerksamkeit über Wasser und am Leben gehalten werden. Aus diesem Blickwinkel betrachtet und nach Analyse der tatsächlichen Verhältnisse ist Deutschland tatsächlich ein Pflegefall geworden.
Das beweist der aktuelle Stand der öffentlichen Meinung. An diesem heutigen wichtigen Datum herrscht in der prägenden Medienlandschaft in Sachen Genossenschaften Ödnis. Wie ausgetrocknet es tatsächlich ist, belegt einer der jüngsten Forschungsberichte zu Genossenschaften. Er ist vom Leibniz-Institut für Länderkunde erarbeitet und in diesem Jahr vorgelegt worden. In wohl klingenden Worten wird darin von einer Renaissance der Genossenschaftsidee gesprochen. Das sei erstaunlich, denn lange Zeit habe die eingetragene Genossenschaft als wirtschaftliches Auslaufmodell gegolten. „Nachdem ihre Zahl in der Bundesrepublik seit 1950 aufgrund von Fusionen und Auflösungen stark zurückgegangen ist, werden seit den frühen 2000er Jahren wieder vermehrt Genossenschaften gegründet“, heißt es in der Studie. Als Beweis werden 2.000 Neugründungen angeführt, die zwischen 2007 und 2015 erfolgt sind. Also entstanden pro Jahr weniger als 200 neue Genossenschaften. Ob das als große Errungenschaft oder gar als klägliches Armutszeugnis zu bewerten ist, kann nur ein überzeugender Vergleich leisten: Vor hundert Jahren wurden pro Jahr in Deutschland 5.000 Genossenschaften gegründet. Damals gab es insgesamt mehr als 52.000 Genossenschaften. Heute gibt es in der Bundesrepublik 7.500 bis 8.000 Genossenschaften. Ein Aussterben steht zwar nicht in Aussicht, aber Stagnation ist nicht von der Hand zu weisen. Die Genossenschaftsidee muss also schnellstens aus ihrem jämmerlichen Dasein befreit und mit allen Kräften proklamiert werden. Diese Notlage rechtfertigt den Platz auf der UNESCO-Liste für das immaterielle Weltkulturerbe demnach voll und ganz. Das Genossenschaftsmodell muss – schon angesichts vergangener Glanzzeiten – dringend gerettet werden. Ist das Genossenschaftswesen komplett verwahrlost? Nein – es gibt neue Ansätze wie es die coopgo Initiative ++ (ap/mgn/30.11.17 – 239)
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