Hamburg, 14. Juni 2017 (geno).Genossenschaftsförderung: Deutschlands Genossenschaften befinden sich in einer tiefen Krise. Seit Jahrzehnten geht ihre Zahl zurück. Dass Deutschland ausgerechnet mit der Genossenschaftsidee sein allererstes Projekt auf die repräsentative UNESCO-Liste des immateriellen Weltkulturerbes gebracht hat, klingt deshalb zunächst aberwitzig und absurd. Vielleicht ist jedoch dieser Umstand der entscheidende Rettungsanker für den deutschen Genossenschaftssektor. Unter dem Stichwort „Kooperationsgesellschaft“ könnte ein stabiles und vielversprechendes Zukunftsprojekt entstehen.
Schon vor zehn Jahren illustrierte der Hamburger Genossenschaftsexperte Burchard Bösche die Misere und verdeutlichte sie anhand innereuropäischer Vergleiche. In Italien gebe es zehn Mal mehr Genossenschaften als in Deutschland – nämlich 70.000 mit steigender Tendenz. Jährlich werden dort mehr als 2.000 neue Genossenschaften gegründet. In der kleinen Schweiz existierten seit 50 Jahren nahezu unverändert 13.000 Genossenschaften. Hochgerechnet mit der Bevölkerungszahl müsse es demnach in Deutschland 140.000 Genossenschaften geben. In Wirklichkeit sind es äußerst magere 8.000. Nach den Worten von Bösche ist die Genossenschaft für kleine Selbsthilfeinitiativen zu teuer und zu bürokratisch. Zu weiteren Gründen teilt er weiter mit: „Die eingetragene Genossenschaft ist nach bald 140 Jahren nicht mehr die Rechtsform, als die sie einst konzipiert wurde: eine Gesellschaftsform, die es den armen und benachteiligten Mitgliedern der Gesellschaft ermöglicht, ihre Kräfte zu bündeln und sich so wirtschaftliche Möglichkeiten zu verschaffen, die dem Einzelnen allein nicht erreichbar wären. Zahllose Änderungen des Genossenschaftsrechts haben einen Rechtsrahmen geschaffen, der geeignet ist für Banken im internationalen Wettbewerb und für große Nahrungsmittelkonzerne, aber eben nicht für eine Initiative mit 20 Mitgliedern, die zur Deckung ihres Bedarfs einen Ökoladen aufmachen will.“ In Deutschland stehe Genossenschaftsförderung folgenlos auf geduldigem Verfassungspapier. In den südeuropäischen Ländern Spanien, Portugal und Italien sei das völlig anders.
Norditalien demonstriert, wie sich die Lage bessern kann. Dort schließen sich die Arbeiter insolventer Firmen zu Genossenschaften zusammen und führen die Betriebe weiter. Sie investieren Abfindungen, Arbeitslosengeld und Ersparnisse. Weil das Geld nicht ausreicht, gibt es die Fördertöpfe des Genossenschaftsverbandes Legacoop. Er hat von 2008 bis 2016 für 48 Arbeitergenossenschaften 13,8 Millionen Euro Kapital und Darlehen beigesteuert. ++ (kr/mgn/14.06.17 – 117)
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