Berlin, 27. Januar 2017 (geno). „Es ist dringend Zeit, die Gesetzesänderung von 1934 wieder zurückzudrehen.“ Auf dieser seit Jahren erhobenen Forderung beharrt der Genossenschaftsexperte Wilhelm Kaltenborn. Es müsse nicht vollständig geschehen, gesteht er zu. Aber die Zwangsmitgliedschaft der deutschen Genossenschaften in sogenannten Prüfverbänden sollte endlich wieder aufgehoben werden. Damit werde ein Rechtszustand hergestellt, wie er in Österreich bereits seit langem exisiert. Dort könne man die Wirkungen verlässlich analysieren. „Etwas mehr Schulze wiederherzustellen wäre nach acht Jahrzehnten nicht schlecht. Sein Ziel war schließlich: Freie Genossenschaften in einer freien Gesellschaft“, so Kaltenborn.
Ergänzung: Redaktion Genossenschaftswelt: Wie aus der Bundestagsdrucksache 18/11937, „Unterrichtung durch die Bundesregierung – Entwurf zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften“ (Drucksache 18/11506) ersichtlich, bleibt es auch in Zukunft bei der am 30.10.1934 im Rahmen des Ermächtigungsgesetzes durch den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler und seines Justizministers beschlossenen Gesetzesnovelle zum Anschlusszwang von Genossenschaften an einen genossenschaftlichen Prüfungsverband. Damals diente dies der Gleichschaltung der Genossenschaften mit bzw. in die nationalsozialistische Zwangswirtschaft und der Durchsetzung des Führerprinzips. Heute von den etablierten Verbänden vehement verteidigtes braunes Erbgut zur Erhaltung einer verbandlichen Prüfungsstruktur, welche auf Grund des Regionalprinzips Wettbewerb weitestgehend ausschließt. Und natürlich die Finanzierung dieser Verbände sichert. Drei große „regionale“ Prüfungsverbände dominieren mittlerweile die Szenerie, wobei nun einer die qualifizierte Mehrheit auch in den Spitzenverbänden zu haben scheint. Die Wettbewerbsfähigkeit der Genossenschaften wird dagegen mehr und mehr eingeschränkt.
Mit der Zwangsmitgliedschaft nicht genug, wird mit der aktuellen Gesetzesnovelle auch noch die Geschäftsführungszuständigkeit des Vorstandes einer Genossenschaft eingeschränkt. Über den Wechsel des Prüfungsverbandes kann zukünftig nur noch der Aufsichtsrat oder die Generalversammlung entscheiden. Was die nun neu eingeführte – verpflichtende – Nennung des Namens des prüfenden Verbandes auf der Internetseite bzw. in Ermangelung dessen auf dem Kopfbogen einer Genossenschaft mit „Bürokratieabbau“ zu tun hat, bleibt wohl ein Geheimnis der Bundesregierung.
Wenigstens in einer Sache konnte sich die Verbandslobby nicht durchsetzen – die Kündigungsfristen sollen auf ein Jahr beschränkt werden. Dank deutscher Gerichtsbarkeit.
Hinsichtlich der Anhebung der Größenmerkmale für die Pflichtprüfung ist die Bundesregierung eingeknickt. Sah doch der Referentenentwurf des BMJ eine deutlich höhere Grenze vor, als der nun durch die Verbandslobby zur Sicherung der Erbhöfe notwendige, nur geringfügig erhöhte Wert. „Eine Anhebung der Größenmerkmale würde zu einer Aufweichung des genossenschaftlichen Prüfungssystems und praktisch zu seiner Abschaffung führen“. Wieso eigentlich? Die Verbände behaupten von sich, mitgliederorientiert, mitgliedernah, regional und fachlich gut aufgestellt zu sein. Welches Mitglied möchte auf solche Vorzüge freiwillig verzichten? Eine im Jahr 2015 vom BMWi in Auftrag gegebene Studie soll belegen, dass die genossenschaftliche Pflichtprüfung ein Grund für die im Vergleich zu anderen Unternehmensformensehr niedrige Insolvenzrate sei. Dies ist natürlich Unfug. Bei einer durchschnittlichen Gründungsrate von vielleicht 100 – 150 Genossenschaften und dagegen 55.000 GmbHs per anno muss der Prozentsatz natürlich niedriger ausfallen. Besonders unseriös ist dabei die Rechenmethode des DGRV. Dieser setzt die Anzahl an Insolvenzen unter Genossenschaften ins Verhältnis zu allen Insolvenzen deutschlandweit – statistische Aussagekraft gleich NULL.
Weiter im Text widerspricht sich die Bundesregierung selbst, indem sie feststellt, dass „infolge der erstmaligen Befreiung von der verpflichtenden Jahresabschlussprüfung im Jahr 2006 keine Zunahme der Insolvenzrate bei den befreiten Genossenschaften festgestellt wurde“. Ja – was denn nun?, möchte man fragen. Und: Wenn Zwangsmitgliedschaft, genossenschaftliche Pflichtprüfung in der gesetzlich festgelegten Größenordnung sowie die dazu gehörigen Regularien so segensreich sind, warum werden diese gesetzlichen Regelungen nicht auf alle anderen Rechtsformen wie Aktiengesellschaften, GmbHs, u.a. ausgeweitet? Warum bricht die genossenschaftliche Welt außerhalb Deutschlands, vollständig ohne Zwangsmitgliedschaft, nicht zusammen? Die Insolvenzrate unter Genossenschaften in Italien beispielsweise ist nicht höher als in Deutschland, obwohl dort das Prinzip der Freiwilligkeit dominiert.
Die Frage ist einfach zu beantworten: Es geht einzig und allein um handfeste materielle – sprich finanzielle – Interessen.
Aber die Zahl der Kritiker, der Veränderung fordernden Genossenschafter wächst stetig. Und getreu dem Raiffeisen-Motto: „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele“ wird es diese Veränderung auch geben.
Martin Bergner Der Autor ist Vorstand der Zentralkonsum eG Berlin