Athen, 10. März 2016 (geno). Den in Köln lebenden griechischen EDV-Spezialisten Elias Tsolakidis erreichte kürzlich ein Hilferuf aus seiner nordgriechischen Heimat: 700 Flüchtlinge sitzen dort ohne Wasser und Brot fest. Er organisiert per e-mail binnen Stunden humanitäre Unterstützung aus seiner Geburtsstadt Katerini am Fuße des Olymp.
über diese jüngste Aktion der „Selbstorganisation gegen die Not“ und deren Entstehungsgeschichte berichtet die aktuelle Ausgabe der Zwei-Wochen-Publikation „Ossietzky“. Freiwillige gründeten mit Tsolakidis an der Spitze diese Bürgerinitiative “ O Topos Mou “ (Mein Ort) im Jahr 2007 in der 80.000 Einwohner zählenden Stadt Katerini. Anlass waren die riesigen Waldbrände auf dem Peleponnes. Die Initiatoren boten der unter Druck stehenden Feuerwehr Schützenhilfe an und errichteten in ehrenamtlicher Tätigkeit Hochstände. Von dort beobachteten sie die waldreiche Umgebung und konnten frühzeitig Entstehungsbrände entdecken, um deren Quellorte den Löschzügen zu melden. 25 Brände konnten so schnell eingedämmt werden. Dann traf die Krise Griechenland mit aller Wucht und „O Topos Mou“ dehnte seine Arbeit auf soziale und kulturelle Bereiche aus. Da die an Geld und Personalmangel leidende staatliche Klinik in Katerini geschlossen ist, müssen Patienten ins 80 Kilometer entfernt liegende Katerini gebracht werden. Nicht alle Notfälle überstehen die Blaulicht-Fahrt lebend. Deswegen wurde vor Ort eine kleine Sozialklinik eingerichtet, in der eine kostenlose Behandlung stattfindet. Dazu hat die Initiative die Räumlichkeiten einer vor langer Zeit stillgelegten Tabak-Forschungsstätte reaktiviert. Zudem betreibt die Initiative eine Soziale Apotheke, die Bedürftige unabhängig vom Sozial- und Rechtsstatus mit Arzneimitteln versorgt. Ein Spendenaufruf per Internet in mehreren Sprachen war so erfolgreich, dass sogar an Medikamenten leidende staatliche Kliniken mit den nicht verbrauchten Wirkstoffen bedient werden können. Freiwillige sortieren dazu die eingehenden Sendungen und registrieren sie akribisch. Sogar die Polizei holt Arznei für die Gefangenen, so Tsolakidis.
Gegen den durch die Troika-Diktate in Griechenland verursachten Hunger hat Tsolakidis zusätzlich die Bewegung „Ohne Zwischenhändler“ initiiert, die das Prinzip der konsumgenossenschaftlichen Selbsthilfe aktualisiert. Auf Märkten unter freiem Himmel verkaufen Bauern ihe regionalen Produkte direkt an die Verbraucher. 600 bedürftige Familien werden so dauerhaft versorgt. Außerdem gibt es einen Sozialen Supermarkt, der gespendete Lebensmittel an bedürftige Familien verteilt. er funktioniert ohne Geld. Zudem werden in Kooperation mit mehreren Schulen arme Schüler mit Heften und Stiften ausgestattet.
„Ossietzky“ schreibt weiter: „Die Aktivitäten von ‚O Topos Mou‘ basieren auf freiwilliger Arbeit und finden auf der Ebene von Sachgütern und Naturalien statt. Die Bewegung richtet sich auch gegen Mautgebühren, gegen Stromabschaltungen bei Zahlungsrückständen und Zwangsversteigerungen von Wohneigentum.“ Tsolakidis berichtet, dass inzwischen 23 Initiativen und 3.500 Freiwillige unter dem Dach von “ O Topos Mou “ arbeiten. „Wir sind kein Verein, wir haben keinen Vorstand, wir verwalten kein Geld“, so der rührige, ständig zwischen Köln und Katerini pendelnde Grieche. Besonders wichtig ist ihm: „Wir sind unabhängig von Staat und Parteien.“ Entscheidungen werden basisdemokratisch von Vollversammlungen getroffen und von themenbezogenen Freiwilligen-Kommissionen, die sich übers Internet organisieren, eigenverantwortlich umgesetzt.
Der Erfolg all der Projekte hat Begehrlichkeiten auf lokaler Ebene geweckt. stellt der Publizist Gregor Kritikidis fest. Es drohen wie überall in Griechenland staatliche Zwangsmittel oder Vereinnahmung politischer Parteien. Tsalakidis befürchtet beispielsweise den Verkauf des ehemaligen Tabak-Zentrums durch den griechischen Staat. „Ein besonders netter Versuch, unser Projekt zu stoppen.“ ++ (gr/mgn/10.03.16 – 070)
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